Die Tathandlung der 1. Alternative erfordert, dass der Täter die ihm eingeräumte Vermögensbetreuungsbefugnis durch rechtsgeschäftliches oder hoheitliches Handeln missbraucht.
Hinweis der Rechtsanwälte von LHP: Diese Voraussetzung bedeutet, dass rein tatsächliche Handlungen (sog. Realakte), wie z.B. der rein tatsächliche „Griff in die Kasse“, nicht unter die 1. Alternative fallen. Dann kann allerdings im Einzelfall die 2. Alternative (Treubruchstatbestand, siehe unten Punkt 2) eingreifen.
In der Praxis der Strafverteidigung wegen Untreue prüfen wir zunächst, ob der Beschuldigten überhaupt eine sog. Vermögensbetreuungsbefugnis hat. Die Vermögensbetreuungsbefugnis setzt voraus, dass dem Täter eine Befugnis eingeräumt worden sein muss, über fremdes Vermögen zu verfügen oder einen anderen zu verpflichten. Diese Befugnis kann dem Täter durch Gesetz, behördlichen Auftrag oder Rechtsgeschäft eingeräumt worden sein.
- Beispiele für den durch Gesetz eingeräumten Befugnissen sind das Vermögenssorgerecht des Geschäftsführers einer GmbH gem. §§ 35 Abs. 1, 37 Abs. 2 GmbHG, des Vorstandes einer Aktiengesellschaft gem. §§ 78, 82 AktG, des Aufsichtsrats einer AG gem. § 87 AktG, der Eltern gegenüber ihren Kindern gem. § 1626 BGB, des Vormunds gem. § 1793 BGB, des Betreuers gem. § 1896 BGB oder des Testamentsvollstreckers gem. § 2205 BGB.
- Beispiele für behördlichen Auftrag: Diese kann z.B. ein Universitätsprofessor haben, der als Direktor der Unikliniken mit der Beschaffung von medizinischen Produkten beauftragt worden ist. Auch der vom Gericht bestellte Insolvenzverwalter hat eine solche Befugnis.
- Auch rechtsgeschäftlich kann eine solche Befugnis eingeräumt werden. Beispiele sind: Einräumung einer Prokura gem. §§ 48 ff. HGB, Erteilung einer Vollmacht gem. §§ 164 ff. BGB sowie einer Verfügungsermächtigung gem. § 185 BGB.
Hinweis der Rechtsanwälte von LHP: In der Verteidigung prüfen wir auch, ob die Vermögensbetreuungsbefugnis tatsächlich und nicht nur zum Schein bestand. Denn eine bloße Scheinbefugnis genügt für die Strafbarkeit nicht, wenn die Verfügung allein aufgrund Vorschriften des guten Glaubens möglich wird. Beispiel: Eine Haushälterin veräußert den ihr zur Aufbewahrung während einer Weltreise der Hauseigentümer überlassenen Schmuck an einen gutgläubigen Dritten. Die Veräußerung an den gutgläubigen Dritten ist gem. §§ 929, 932 BGB zwar wirksam, jedoch dient die Vorschrift des guten Glaubens gem. § 932 BGB nicht dem Schutz des Vermögens.
a. Was setzt ein Missbrauch voraus?
Ein Missbrauch verlangt, dass der Täter im Außenverhältnis eine rechtsgeschäftlich wirksame Verpflichtung oder Verfügung getroffen hat, mit der er das zu betreuende Vermögen belastet hat. Mit dieser Verfügung überschreitet er jedoch im Einzelfall die Grenzen des rechtlichen Dürfens. Dann liegt darin der Missbrauch.
Hinweis der Rechtsanwälte von LHP: Wichtig ist, dass der Missbrauchstatbestand nur erfüllt ist wenn der Täter zivilrechtlich wirksam verfügt hat oder jemanden wirksam verpflichtet hat. In der Praxis sehen wir immer wieder Fälle, in denen tatsächlich gar keine wirksame Verfügung oder Verpflichtung eingetreten ist, so dass dann auch kein Missbrauch vorliegen kann. Dann ist allerdings die 2. Alternative zu prüfen.
Beispiel: Prokurist A der X GmbH geht mit einem Maschinen-Lieferanten L einen „Deal“ ein. A werde nur dann für die X GmbH bei L eine neue Maschine kaufen, wenn dieser auf den regulären Preis in Höhe von EUR 10.000 € einen Betrag in Höhe von EUR 2.000 aufschlage und diesen erhöhten Preis in der für die X GmbH bestimmten Rechnung „verstecke“ (sog. „Kick-Back-Provision“). Nach Erhalt des Gesamtrechnungsbetrages solle L den Mehrerlös auf ein Konto des P überweisen. L ist einverstanden, sodass es zu einem Vertragsschluss zwischen der X-GmbH, vertreten durch P und L, kommt.
Lösung: In diesem Beispiel ist die Missbrauchsalternative (§ 266 Abs. 1, Alt. 1 StGB) nicht erfüllt. Zwar hat P als Prokurist eine weitreichende Vertretungsmacht (§ 49 Abs. 1 HGB), die nach außen nicht beschränkt werden kann. Wichtig ist jedoch, dass der zwischen der X-GmbH und L geschlossene Vertrag wegen kollusiven Zusammenwirkens zwischen P und L nichtig ist. Dies bedeutet, dass die X-GmbH nicht zur Kaufpreiszahlung wirksam verpflichtet worden ist. Damit scheidet die Missbrauchsalternative aus. Es kommt allerdings eine Strafbarkeit gem. § 266 Abs. 1, Alt. 2 StGB in Betracht.
Die Missbrauchsalternative setzt in der Regel ein Dreipersonenverhältnis voraus. Allerdings sind auch Fälle ohne drei Personen in der Praxis oft gegeben:
Beispiel: Prokurist A einer GmbH kontrahiert mit sich selbst und verstößt hierbei gegen das Verbot des § 181 BGB. In diesem Fall handelt der Prokurist als Täter auf zwei Seiten: einmal als Vertreter der geschädigten GmbH und einmal als Vertragspartner.
Nachdem festgestellt worden ist, dass der Täter das zu betreuende Vermögen wirksam belastet hat, muss zusätzlich überprüft werden, ob der Täter im Innenverhältnis dazu auch berechtigt war. Hat er hierbei das sog. rechtliche Dürfen überschritten, so liegt ein Missbrauch vor. Die Grenzen des rechtlichen Dürfens können sich aus Gesetz, Satzung oder Vereinbarungen mit dem Vermögensinhaber ergeben.
Beispiel: G ist Gesellschaftergeschäftsführer einer Ein-Mann-GmbH. Er schließt mit einem Angestellten einen Darlehensvertrag über EUR 20.000. Aufgrund der daraufhin ausgezahlten Darlehenssumme verfügt die GmbH nur noch über ein Stammkapitel in Höhe von 15 000 €. Wie schon bei Abschluss des Vertrages zu erwarten, kann der Angestellte den Betrag später bei Darlehensfälligkeit nicht zurückzahlen.
Lösung: Geschäftsführer G hat wirksam einen Darlehensvertrag mit dem Angestellten geschlossen. Das Überschreiten des rechtlichen Dürfens ergibt sich jedoch aus § 43a GmbHG, wonach Handlungen zu unterlassen sind, mit denen das Vermögen der GmbH unter das Eigenkapitalniveau sinkt.
Auch kann sich das rechtliche Dürfen im Einzelfall aus Sorgfaltsanforderungen ergeben, die ein ordentlicher und gewissenhafter Vermögensbetreuer zu beachten hat.
Hinweis der Rechtsanwälte von LHP: Sofern es sich um unternehmerische Entscheidungen handelt, die das Firmenvermögen betreffen, ist eine Pflichtverletzung bei Entscheidungen von Vorständen, Aufsichtsräten und Geschäftsführern nur relevant, wenn diese Pflichtverletzung gravierend ist. Nur eine solche kann das Überschreiten des rechtlichen Dürfens begründen.
Ein häufiges Beispiel ist die Kreditvergabe. So gibt es immer wieder Fälle, in denen Vorstandsmitgliedern einer Bank vorgeworfen wird, Kredite an vermögensschwache Kunden zu vergeben, die später nicht zurückgezahlt wurden. Eine Überschreitung des rechtlichen Dürfens bejaht der BGH hier für den Fall, dass die Entscheidungsträger ihre Informations- und Prüfungspflichten bezüglich der wirtschaftlichen Verhältnisse des jeweiligen Kreditnehmers gravierend verletzt haben.
Beim Überschreiten des rechtlichen Dürfens ist zu beachten, dass ein wirksames Einverständnis des Vermögensinhabers den objektiven Tatbestand des Missbrauchs ausschließt.
b. Ist eine Vermögensbetreuungspflicht notwendig?
Umstritten ist, ob der Täter der Missbrauchsalternative (§ 266 Abs. 1, 1. Alternative StGB) neben einer Vermögensbetreuungsbefugnis auch eine Vermögensbetreuungspflicht haben muss.
Die herrschende Ansicht in Rechtsprechung und Literatur bejaht dies und sieht den Missbrauchstatbestand als einen Spezialfall des Treubruchstatbestandes (§ 266 Abs. 1, 2. Alternative StGB, siehe hierzu unten) mit der Folge, dass auch bei der 1. Alternative eine Vermögensbetreuungspflicht verlangt wird. Die herrschende Ansicht begründet ihre Ansicht u.a. damit, dass eine restriktive Auslegung des § 266 StGB geboten sei. Wegen der Definition der Vermögensbetreuungspflicht möchten wir auf unsere Ausführungen unter Punkt 3a verweisen.