Immer wieder bildet die Steuerbefreiungsvorschrift nach § 4 Nr. 14 UStG den Mittelpunkt von Auseinandersetzungen zwischen der Finanzverwaltung und den Unternehmern in der Gesundheitsbranche (z. B. Arztpraxen).
Nach dieser Vorschrift sind insbesondere ärztliche Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin, die im Rahmen der Ausübung der Tätigkeit als Arzt, Zahnarzt, Heilpraktiker, Physiotherapeut, Hebamme oder einer ähnlichen heilberuflichen Tätigkeit durchgeführt werden, von der Umsatzsteuer befreit. Freilich sind die auf den ersten Blick einfach anmutenden Voraussetzungen zur Anwendung der Steuerbefreiungsvorschrift im Detail komplex. Maßgeblich ist insbesondere, ob die in Rede stehende Heilbehandlung medizinisch indiziert ist oder eher der Bereich Health Care betroffen ist. Aufgrund der stetigen Weiterentwicklungen im Bereich der Behandlungsmethoden kommt es in der Steuerberatungspraxis insoweit immer wieder zu Grenzfällen. Hier hat sich eine umfangreiche Einzelfallkasuistik herausgebildet.
Beispiel (umsatzsteuerfrei):
- Bleaching als steuerfreie zahnärztliche Heilbehandlungsleistung zur Beseitigung behandlungsbedingter Zahnverdunklungen (BFH, Urt. v. 19.3.2015 – V R 60/14)
Gegenbeispiele (nicht umsatzsteuerfrei):
- Haarwurzeltransplantation zur Behandlung der androgenetischen oder hereditären Alopezie (FG Düsseldorf v. 16.06.2021 – 5 K 2710/17 U)
- Lehr- und Vortragstätigkeiten,
- entgeltliche Nutzungsüberlassung von medizinischen Großgeräten.
Insbesondere auch in den Bereichen der ästhetisch-plastischen Chirurgie stellt sich immer wieder die Frage nach der medizinischen Indikation und damit der Anwendbarkeit der Steuerbefreiungsvorschrift nach § 4 Nr. 14 Buchst. a) UStG. In diesem Spannungsfeld kann lediglich ein kosmetischer Eingriff „aufgrund einer Krankheit“ der Umsatzsteuerbefreiung nach § 4 Nr. 14 UStG unterliegen. Nach Auffassung des BFH (BFH, Urt. v. 19.06.2013 – V S 20/13, MwStR 2013, 702) kann eine psychische (insoweit für § 4 Nr. 14 UStG ausreichende) Indikation nur durch die Diagnose von Psychologen, Psychotherapeuten, Psychiatern oder Neurologen als entsprechendem Fachpersonal belegt werden. Dies sollte der behandelnde Chirurg berücksichtigen und im Zweifelsfalle ein psychologisches Gutachten einholen lassen.
Auch bei der Frage, ob gutachterliche Tätigkeiten der Umsatzsteuerbefreiung unterliegen, ist eine differenzierte Betrachtungsweise geboten. Umsatzsteuerpflichtig sind nach Auffassung der Finanzverwaltung beispielsweise Alkohol- und Drogengutachten zur Untersuchung der Fahrtüchtigkeit sowie Gutachten zur Klärung, ob die Therapiekosten von der gesetzlichen Krankenkasse getragen werden. Umsatzsteuerfrei ist dagegen zum Beispiel die körperliche Untersuchung von Personen in Polizeigewahrsam zur Überprüfung der Verwahrfähigkeit in der Zelle.
Auch die umsatzsteuerliche Handhabung von ärztlichen Leistungen im Rahmen von sogenannten „Care-Plus-Verträgen“ hat die Finanzgerichte in jüngerer Vergangenheit verstärkt beschäftigt. Bei den Care-Plus-Verträgen schließen Arztpraxen bzw. Medizinische Versorgungszentren (MVZ) Kooperationsverträge mit Pflege- bzw. Altenheimbetreibern ab. Hierbei geht es um die umfassende ärztliche Betreuung der Pflegeheimbewohner. Nach Auffassung des FG Berlin-Brandenburg sind in einem solchen Fall die Leistungen des MVZ (Regelvisiten, Rufbereitschaft, Fallbesprechung in multiprofessionellen Teams, Überweisung Fachärzte, Rezeptur und Medikation) an den Pflegeheimbetreiber als umsatzsteuerfreie Heilbehandlung zu beurteilen. Abzuwarten bleibt insoweit die Entscheidung des BFH in der Revision (Az. V R 5/24). In der Vergangenheit hat sich die finanzgerichtliche Rechtsprechung bereits mit ähnlich gelagerten Fällen befasst:
- Übernahme eines ambulanten ärztlichen Notdienstes (FG Münster, Urt. v. 09.05.2023 – 15 K 1953/20),
- Notärztlicher Bereitschaftsdienst auf Veranstaltungen (BFH, Urt. v. 02.08.2018, V R 37/17, BFHE 263, 63),
- Isolierte Einlagerung eingefrorener Eizellen im Rahmen der Fruchtbarkeitsbehandlung (BFH, Beschl. v. 07.07.2022, V R 10/20, BFHE 276, 445).