Gesellschafter gewerblich geprägter Gesellschaften können hinsichtlich Wegzugsbesteuerung - allerdings nur vorsichtig - aufatmen! Bemerkungen zu Verlauf und aktuellem Stand der Diskussion rund um die Wegzugsbesteuerung und den neuen § 50i des Einkommensteuergesetzes.
In den Jahren 2013 und 2014 löste die Einführung und Erweiterung des § 50i EStG unter Rechtsanwälten, Steuerberatern und Rechtswissenschaftlern Verwirrung aus. Abgesehen von verfassungsrechtlichen Bedenken wegen des Vorliegens eines sog. Treaty-Overrides (die durch das Urteil des BVerfG vom 15.12.2015, Az. 2 BvL 1/12 zunächst erledigt sind) stellte sich die Norm aufgrund ihres ausschweifenden Wortlauts als äußerst problematisch heraus. Nach mehreren, von großer Rechtsunsicherheit geprägten Jahren, hat der Gesetzgeber endlich reagiert und im Zuge des Beschlusses des „Anti-BEPS-Gesetzes“ im Dezember 2016 eine neue Version der Norm vorgelegt. Doch sind damit alle Schwierigkeiten bereinigt? LHP Rechtsanwälte Steuerberater informieren über den Verlauf und aktuellen Stand der Diskussion rund um die Wegzugsbesteuerung und § 50i EStG.
Zur Sicherung des deutschen Steueraufkommens hat der deutsche Gesetzgeber verschiedene Besteuerungsmechanismen eingeführt, die bei einem Wegzug ins Ausland ausgelöst werden. Diese sog. Wegzugsbesteuerung soll dem deutschen Fiskus insbesondere den Zugriff auf vorhandene stille Reserven ermöglichen, bevor diese im Ausland der Steuerhoheit der Bundesrepublik entzogen werden.
Zentrale Norm der deutschen Wegzugsbesteuerung ist § 6 AStG. Dieser ordnet bezüglich natürlicher Personen bei einem Wegzug ins Ausland die entsprechende Anwendung des § 17 EStG an. Hält also eine natürliche Person Anteile an einer Kapitalgesellschaft und zieht aus Deutschland weg, kommt es gemäß §§ 6 AStG, 17 EStG zu einer fingierten Veräußerung der Anteile und zur entsprechenden Besteuerung eines „Gewinns aus der Veräußerung von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft“.
Bis vor wenigen Jahren konnten erfahrende Fachanwälte für Steuerrecht und versierte Steuerberater diese Wegzugsbesteuerung legal umgehen, indem vor dem Wegzug die entsprechenden Anteile in eine Personengesellschaft - üblicherweise eine GmbH & Co. KG - eingebracht wurden. Die Wegzugsbesteuerung nach § 6 AStG war durch diesen Steuertrick ausgehebelt. Die Finanzverwaltung akzeptierte diese legale Steuer-Umgehungspraxis. Dies lag auch daran, dass die Besteuerung der stillen Reserven durch Deutschland im Ergebnis nicht gefährdet war. Die lag an folgender steuerrechtlicher Besonderheit:
Auf innerstaatlicher Ebene unterfielen die so gegründeten Holding-Gesellschaften der Gewerblichkeitsfiktion des § 15 Abs.3 Nr.2 EStG. Danach gilt „eine Personengesellschaft,…, bei der ausschließlich eine oder mehrere Kapitalgesellschaften persönlich haftende Gesellschafter sind und nur diese oder Personen, die nicht Gesellschafter sind, zur Geschäftsführung befugt sind (gewerblich geprägte Personengesellschaft)“ als Gewerbebetrieb. Diese Einordnung wurde auf internationaler DBA-Ebene weitergeführt, so dass der Gewinn aus einer späteren Veräußerung als Unternehmensgewinn im Sinne des Art. 7 OECD-MA zu qualifizieren war - mit der Folge, dass das Besteuerungsrecht bei Deutschland verblieb.
Bundesfinanzhof urteilt: Innerstaatliche Gewerblichkeitsfiktion nicht auf DBA-Ebene übertragbar
2010 brachte der Bundesfinanzhof dieses in der Praxis bewährte System zum wanken: In einem Urteil v. 28.04.2010 (BFH I R 81/09) entschied der BFH, dass die innerstaatliche Gewerblichkeitsfiktion nicht auf DBA-Ebene übertragen werden könne. Demzufolge seien die entsprechenden Gewinne nicht mehr als Unternehmensgewinne im Sinne des Art. 7 OECD-MA zu qualifizieren, sondern regelmäßig Art. 13 OECD-MA (Gewinne aus der Veräußerung von Vermögen) zuzuordnen, mit der Folge, dass ein Gewinn aus einer späteren Veräußerung nicht mehr in Deutschland - dem Staat, in dem die GmbH & Co.KG „ansässig“ war - besteuert werden konnte, sondern im Staat der Ansässigkeit des jeweiligen Gesellschafters der GmbH & Co.KG. Das BFH Urteil hatte weitreichende Folgen. Alle zuvor in gewerblich geprägte Personengesellschaften „geparkten“ Wirtschaftsgüter und Anteile wurden schlagartig der deutschen Steuerhoheit entzogen. Es war ein dankbares Ergebnis für die betroffenen Steuerpflichtigen, für die Finanzverwaltung dagegen ein „Alptraum“. Befürchtet wurden „Steuerausfälle in Milliardenhöhe“.
Um dies zu vermeiden wurde im Zuge des Amtshilferichtlinie-Umsetzungsgesetzes vom 26.Juni 2013 der neue § 50i EStG eingeführt. Danach behielt Deutschland das Besteuerungsrecht bezüglich der Gewinne aus der Veräußerung oder Entnahme von Wirtschaftsgütern oder Anteilen, die vor dem 29.Juni 2013 einer gewerblich geprägten Personengesellschaft zugeführt worden waren. Damit sollte in Fällen, in denen die Finanzverwaltung noch nicht auf die neue BFH-Rechtsprechung reagieren konnte, die Besteuerung etwaig vorhandener stiller Reserven nachträglich gesichert werden.
In der steuerlichen Beratungspraxis stellte sich bald heraus, dass die Norm nach wie vor legale Steuertricks ermöglichte. Es tauchten neue gesellschaftsrechtliche Gestaltungen auf, die eine Besteuerung nach § 6 AStG und nach § 50i EStG zu verhindern wussten. Beispielsweise konnte nach dem Wegzug das Betriebsvermögen der gewerblich geprägten Personengesellschaft in eine deutsche Kapitalgesellschaft gemäß § 20 UmwStG zum Buchwert eingebracht werden. Nach der so erfolgten Umwandlung war der Gesellschafter unverändert im Ausland ansässig, jedoch an einer Kapitalgesellschaft beteiligt. Im Falle einer Veräußerung der Anteile gab es für Deutschland keine Möglichkeit mehr etwaige stille Reserven zu besteuern. Insbesondere der prominente Fall des Wolfgang Porsche ließ in diesem Zusammenhang die Öffentlichkeit aufhorchen.
Dies bewog den Gesetzgeber dazu, mit dem Kroatien-Anpassungsgesetz vom 25.Juli 2014 den Anwendungsbereich des § 50i EStG zu erweitern. Größte Neuerung war die Einführung eines zweiten Absatzes, mit dem das umwandlungssteuerrechtliche Buchwertprivileg bei Umwandlungen, die Wirtschaftsgüter oder Anteile im Sinne des Absatzes 1 umfassten, versagt wurde. Ebenso suspendierte der neu eingeführte Absatz die Möglichkeit der Buchwertfortführung in den Fällen des § 6 Abs.3 EStG (unentgeltliche Übertragungen, wie zum Beispiel Schenkungen oder Eintritt einer Erbfolge) und des § 6 Abs.5 EStG (Übertragungen zwischen Vermögen desselben Steuerpflichtigen), soweit Wirtschaftsgüter oder Anteile im Sinne des Absatzes 1 involviert sind.
Insbesondere mit der Einführung des § 50i Abs. 2 EStG schoss der Gesetzgeber aber leider über sein ursprüngliches Anliegen hinaus. Der weit gefasste Wortlaut stellte sich als äußerst problematisch dar.
In der Steuergesetzgebung gilt der Grundsatz, dass die Aufdeckung und Besteuerung von stillen Reserven zu einem Zeitpunkt, in dem mangels realer Veräußerung keine liquiden Mittel zugeflossen sind, nur ausnahmsweise zu rechtfertigen ist - nämlich dann, wenn in Deutschland entstandene Wertzuwächse wegen eines Umzuges endgültig dem Zugriff des deutschen Fiskus entzogen werden.
Der Wortlaut des neu eingeführten § 50i EStG erwies sich allerdings als so weit gefasst, dass eine Vielzahl von Sachverhalten erfasst wurden, obwohl kein Verlust des deutschen Besteuerungsrechts drohte.
Von dieser überschießenden Tendenz waren vor allem kleine und mittelständische Gesellschaften betroffen, bei denen die Gesellschafter ihre Kapitalgesellschaftsanteile über eine gewerblich geprägte Personengesellschaft gebündelt haben, wie dies typischer Weise bei Familienunternehmen üblich ist.
In diesem Rahmen konnte schon der Wegzug eines Gesellschafters ins Ausland, zum Beispiel zu Studienzwecken, zur Folge haben, dass es bei Umstrukturierungsmaßnahmen sofort zu einer Aufdeckung und Besteuerung der stillen Reserven kam. Gleiches galt auch für Anteilsübertragungen auf Grund eines Todesfalls oder einer vorweggenommenen Erbfolge.
Dem Wortlaut nach konnte die Norm sogar in Fällen greifen, in denen überhaupt gar kein Auslandsbezug bestand.
Die Gesellschafter sahen sich in solchen Fällen massiven Steuerbelastungen ausgesetzt, obwohl noch keine Veräußerung, mithin noch keine Realisierung der stillen Reserven erfolgt war. Dies führte dazu, dass viele Unternehmen davon abgehalten wurden, wirtschaftlich notwendige und sinnvolle Umstrukturierungen durchzuführen.
Die Norm zog schnell eine massive Welle an Kritik nach sich. Sowohl die steuerliche Beratungspraxis als auch die Wissenschaft machten auf die erheblichen „Kollateralschäden für Familienunternehmen“ aufmerksam. Lange Zeit blieb der Gesetzgeber allerdings tatenlos.
Etwas Entspannung brachte zunächst das BMF-Schreiben v. 21.12.2015, wonach von der Besteuerung der stillen Reserven abgesehen werden konnte, wenn das deutsche Besteuerungsrecht gesichert ist und die Betroffenen einen entsprechenden Billigkeitsantrag gestellt hatten.
Erst im Zuge des „Anti-BEPS-Gesetzes“ vom 20.12.2016 reagierte der Gesetzgeber endlich auf die geäußerte Kritik und legte eine „verbesserte“ Version der Norm vor, die am 01.01.2017 in Kraft getreten ist.
Der neue § 50i EStG enthält im Wesentlichen zwei große Änderungen:
Zum einen wurde der Absatz 1 um eine weitere Voraussetzung erweitert. Die Besteuerung eines (fiktiven) Gewinns/einer Entnahme in Deutschland kann nur dann erfolgen, wenn „das Recht der Bundesrepublik Deutschland hinsichtlich der Besteuerung des Gewinns aus der Veräußerung oder Entnahme dieser Wirtschaftsgüter oder Anteile ungeachtet der Anwendung dieses Absatzes vor dem 1. Januar 2017 ausgeschlossen oder beschränkt worden ist“. Sachverhalte, bei denen ein grenzüberschreitender Bezug – zum Beispiel der Wegzug eines Gesellschafters oder aber ein Erbfall - erst nach dem 31.12.2016 entsteht, werden also nicht mehr von § 50i EStG erfasst.
Positiv zu bemerken ist, dass die Einengung des Anwendungsbereichs auf „Altfälle“ verfassungsrechtliche Bedenken relativiert und die Gefahr von Doppelbesteuerungen bezüglich des erst nach dem Wegzug entstandenen Wertzuwachses (einmal in Deutschland und einmal im ausländischen DBA-Staat) begrenzt.
Gleichzeitig entfällt aber auch der bisher durch die Norm gewährte Entstrickungsschutz. Dies kann für die Beteiligten negative steuerliche Auswirkungen haben, wie Folgendes Beispiel zeigt:
Der Vater (V) ist Kommanditist einer gewerblich geprägten GmbH&Co KG, in dessen Gesamthandsvermögen sich ausschließlich Anteile an Kapitalgesellschaften befinden, welche vor dem 29.Juni 2013 ohne Besteuerung eingebracht wurden. V verstirbt am 31.12.2016 und vererbt die entsprechenden KG-Anteile an seinen im DBA-Ausland lebenden Sohn (S).
Hier sind alle Voraussetzungen des neuen § 50i Abs. 1 EStG erfüllt, denn:
Folge ist, dass der Erbfall keine einkommensteuerlichen Auswirkungen hat. Gemäß § 6 Abs.3 EStG sind nämlich im Falle einer unentgeltlichen Übertragung (Erbfall), die Anteile zum Buchwert anzusetzen, sofern die Besteuerung der stillen Reserven sichergestellt ist. Der Besteuerungsvorbehalt ist hier erfüllt, denn gemäß § 50i Abs.1 EStG behält Deutschland das Besteuerungsrecht im Falle einer Veräußerung.
Anders stellt sich die Situation dar, wenn der Vater am oder nach dem 01.01.2017 verstirbt. Hier greift § 50i Abs. 1 EStG nicht, da das Besteuerungsrecht vor dem 01.01.2017 nicht eingeschränkt wurde.
Folglich ist die Besteuerung der stillen Reserven auch nicht sichergestellt. Dies wiederum hat zur Folge, dass die stillen Reserven gemäß den §§ 4 Abs. 1 S.3 und 6 Abs.1 Nr.4 HS 2 EStG aufgedeckt und besteuert werden müssen.
Entsprechende Auswirkungen lassen sich auch im Falle des Wegzugs eines Gesellschafters beobachten, je nachdem ob der Wegzug vor oder nach dem 01.01.2017 erfolgt.
Zum anderen wurde § 50i Abs. 2 EStG geändert und dessen Anwendungsbereich stark begrenzt. Diese Einschränkung ist angesichts der zuvor bestehenden enormen Probleme (siehe oben) sehr zu begrüßen. Das Buchwertprivileg entfällt nunmehr nur für Einbringungen im Sinne des § 20 UmwStG und dies auch nur soweit das Recht der Bundesrepublik Deutschland hinsichtlich der Besteuerung eines etwaigen späteren Veräußerungsgewinns ausgeschlossen oder beschränkt ist. Nicht mehr erfasst werden somit pauschal alle Umwandlungsformen im Sinne des Umwandlungssteuergesetzes, sowie Schenkungen, Erbschaften und Überführungen/ Übertragungen von einem Betriebsvermögen in das Betriebsvermögen desselben Steuerpflichtigen. Hier ist also eine erhebliche Entspannung eingetreten.
Obwohl die Einführung des neuen § 50i EStG wie oben beschrieben zu einer Entschärfung der Lage geführt hat, bleibt Vorsicht geboten. Insbesondere der Wegfall des Entstrickungsschutzes ab dem 01.01.2017 kann zu erheblichen und unerwarteten Steuerbelastungen führen. Sollten Sie einen Wegzug ins Ausland planen oder auf sonstige Weise mit einem grenzüberschreitenden Sachverhalt in Berührung kommen, empfehlen wir so früh wie möglich fachkundigen Rat einzuholen. Aufgrund unserer jahrelangen Erfahrung im Internationalen Steuerrecht beraten wir unsere Mandanten regelmäßig in grenzüberschreitenden Fragen des Steuer- und Gesellschaftsrechts, sodass uns Tücken der Materie sehr gut bekannt sind. Nach Einführung des neuen § 50i EStG bieten sich, je nach vorhandener Konstellation, verschiedene Gestaltungsmöglichkeiten an. In Betracht kommen beispielsweise Formwechsel, Strukturwandel, Einbringung oder Anteilstausch. Wir bieten Ihnen eine individuell angepasste Beratung und erörtern gemeinsam mit Ihnen das weitere steuerrechtliche und gesellschaftsrechtliche Vorgehen um die optimalste Lösung für Sie und Ihr Unternehmen zu finden.
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