Der aktuelle Beschluss des FG Berlin-Brandenburg vom 12.9.2019 kann ein Rettungsanker für alle Unternehmer sein, denen ein Vorsteueranspruch wegen sogenannten Wissenmüssens versagt wurde (Aktenzeichen: 7 V 7096/19).
Aufgrund der EuGH-Rechtsprechung wird in Rechtsprechung und Literatur lebhaft diskutiert, unter welchen Voraussetzungen der Vorsteueranspruch eines Unternehmers ausgeschlossen ist. Schädlich ist es nach dieser EuGH-Rechtsprechung, wenn der Unternehmer weiß oder wissen muss, dass er sich an betrugsbehafteten Umsatzsteuerketten oder ‑karussellen beteiligt ((z.B. „Italmoda“-Urteil vom 18.12.2014 - Rs. C-131/13). Die Kernfrage ist somit, welches Verschulden beim Unternehmer vorliegen muss, damit bei ihm von einem „Wissenmüssen“ („Wissenkönnen“) gesprochen werden kann. Die Ansichten hierzu reichen von einfacher Fahrlässigkeit bis Eventualvorsatz. Weder EuGH noch BFH haben sich hierzu festgelegt. Das FG Berlin-Brandenburg hat sich nun in einem summarischen Aussetzungsverfahren für Eventualvorsatz ausgesprochen.
Streitig war, ob der A GmbH (Antragstellerin) ein Vorsteueranspruch aus Lieferungen zustand. Das Finanzamt kam im Rahmen einer Außenprüfung bei der A GmbH zu der Ansicht, dass dieser der Vorsteueranspruch zu versagen sei, da die GmbH-Verantwortlichen hätten wissen müssen, dass sie sich mit dem Erwerb von der C GmbH an einem Umsatzsteuerbetrug bei der C GmbH beteiligen würden. Mit geänderten Umsatzsteuerbescheiden versagte der Antragsgegner der A GmbH daher die entsprechende Vorsteuer. Das FG hatte nun über einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung der geänderten Umsatzsteuerbescheide 2012 und 2013 zu entscheiden (§ 69 Abs. 3 FGO).
Nach Ansicht des FG war der Antrag begründet. Es sieht es als ernstlich zweifelhaft an, dass der Antragsgegner den Abzug der streitigen Vorsteuerbeträge zu Recht versagt hat. ###Zweifel am Wissenmüssen Es bestehe bei summarischer Prüfung kein Grund, die Vorsteuer gemäß der EuGH-Rechtsprechung zu versagen. Es ist bisher ungeklärt, ob für ein „Wissenmüssen“ einfache Fahrlässigkeit, grobe Fahrlässigkeit oder Eventualvorsatz erforderlich ist (Nacke, NWB 46/2015 S. 3396; Wäger, UR 2015 S. 81, 86). Nach Ansicht des FG sei hierfür im Aussetzungsverfahren Eventualvorsatz zu verlangen. Das Finanzamt habe für den Eventualvorsatz keine substantiierten Darlegungen gemacht. Das FG Berlin-Brandenburg hat seine Ansicht nicht abschließend begründet, sondern die günstigste Ansicht zugrunde gelegt, damit ein effektiver Rechtsschutz durch das Aussetzungsverfahren gewährleitet wird. Diese für Unternehmer günstige Ansicht befindet sich im Moment noch auf juristischem Glatteis.
Hinweis der Steueranwälte von LHP aus Köln: Der Steueranwalt sollte das besondere Wechselspiel der Sachverhaltsdarlegung beachten. Die Feststellungslast für das „Wissenmüssen“ liegt als Ausschlussgrund beim Finanzamt.
Daher muss das Finanzamt in einem ersten Schritt substantiiert darlegen, bei welchem Steuerpflichtigen in der Leistungskette die Steuerhinterziehung vorliegt (FG Köln, Urteil v. 20.9.2016, 8 K 1527/14, dieses Urteil wurde von unserer Sozietät erstritten). Erst dann, wenn das Finanzamt zu dem geltend gemachten Umsatzsteuerbetrug und der subjektiven Sicht des Unternehmers (Wissenmüssen) konkrete Tatsachen vorträgt, kann und muss sich der die Vorsteuer begehrende Unternehmer hierzu seinerseits substantiierter äußern.
Hinweis der Steueranwälte von LHP aus Köln: Bitte beachten Sie, dass sich das FG Berlin-Brandenburg nur in dem vorläufigen Aussetzungsverfahren geäußert hat. Es bleibt abzuwarten, ob sich diese Ansicht auch beim BFH durchsetzt.
Im konkreten Einzelfall nehmen wir Bezug auf diese Rechtsprechung des FG Berlin-Brandenburg und auf unsere Rechtsprechungskommentierung in der Fachzeitschrift NWB. Für Erörterungsgespräche mit dem Finanzamt bzw. der Betriebsprüfung bietet der FG-Beschluss eine hilfreiche Argumentationsbasis. Im Steuerstrafverfahren hingegen ist die Vorgehensweise durch unsere Verteidiger aufgrund der dortigen besonderen prozessualen Situation nochmals anders.
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