Verteidigung sollte sowohl im objektiven als auch subjektiven Tatbestand (Vorsatz, grobe Fahrlässigkeit) ansetzen. Hier geht es im Folgenden um den subjektiven Tatbestand.
Vorsatz i. S. des § 370 AO setzt voraus, dass der Täter mit Wissen und/oder Wollen handelt und dem Täter aufgrund einer sog. Parallelwertung bewusst ist, Steuern zu hinterziehen. Es genügt bereits die billigende Inkaufnahme der Hinterziehung (Eventualvorsatz). Der Vorsatz muss sich nach der traditionellen Rechtsprechung auch auf das Bestehen eines Steueranspruchs beziehen (so bereits BGH, Urteil vom 13.11.1953 und auch OLG Köln, Urteil vom 30.9.2014). Dies bedeutet: Wenn der Täter nicht weiß, dass er einen Steueranspruch verletzt und dies auch nicht billigend in Kauf nimmt (sog. Eventualvorsatz), muss konsequenterweise der Vorsatz und damit die Strafbarkeit gem. § 370 AO verneint werden. In diesem Fall liegt ein sog. vorsatzausschließender Tatumstandsirrtum vor (§ 16 Abs. 1 Satz 1 StGB).
Da der BGH in seinem Urteil vom 8.9.2011 jedoch ausdrücklich offen gelassen hat, ob er an seiner oben genannten traditionellen Steueranspruchslehre uneingeschränkt festhält, stellt sich in der Praxis die Frage, ob der Irrtum jeweils ein vorsatzausschließender Tatumstandsirrtum gem. § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB oder ein Verbotsirrtum gem. § 17 StGB ist. Ein Verbotsirrtum lässt den Vorsatz bestehen und kann nur in Ausnahmefällen zu Schuld- und damit zu Straflosigkeit führen, wenn dieser Irrtum unvermeidbar war (§ 17 Satz 2 StGB). In der Praxis ist eine solche Unvermeidbarkeit im Steuerstrafrecht aber nur in seltenen Fällen gegeben, da oft mit dem Einwand zu rechnen ist, dass der Täter sich habe beraten lassen können oder er seinem Berater nicht alle Informationen zur Verfügung gestellt habe.
Hinweis der Steueranwälte von LHP: Die Unterscheidung zwischen Tatumstands- und Verbotsirrtum bedeutet für die Strafverteidigung, dass die Qualifikation eines Irrtums als ein Tatumstandsirrtum (§ 16 Abs. 1 Satz 1 StGB) statt eines Verbotsirrtums (§ 17 Satz 1 StGB) vorteilhafter ist. Bei einem solchen Irrtum fehlt ohne weitere Voraussetzung der Vorsatz, und auch eine strafbare Teilnahme (durch Anstifter und Gehilfen) ist dann mangels vorsätzlicher Haupttat nicht möglich (§§ 26, 27 StGB).
Beispiel 1:
S erklärt seine Einkünfte aus zahlreichen Vortragstätigkeiten. Bei der Aufstellung der Summe der Einzelhonorare vergisst S versehentlich das Honorar für einen Vortrag. Hierdurch wird die Einkommensteuer um 1.000 € zu niedrig festgesetzt. In diesem Fall irrt sich S nicht über die Reichweite (Bedeutung) einer steuerlichen Norm, sondern über die Besteuerungsgrundlagen. Die Höhe der Honorare sind Tatumstände, so dass unstreitig ein Tatumstandsirrtum gem. § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB vorliegt und S daher vorsatzlos handelte.
Beispiel 2:
A schenkt B einen Geldbetrag, der zu einer Schenkungsteuer von 10.000 € führt. B gibt das Geld aus und zeigt die Schenkung nicht dem zuständigen Schenkungsteuer-Finanzamt an (§ 30 Abs. 1 ErbStG). A weiß, dass diese Schenkungsteuer entsteht, geht jedoch irrtümlich davon aus, dass allein dem Beschenkten (B) die Pflicht zur Anzeige der Schenkung obliegt. Die Anzeigepflicht des Schenkenden gem. § 30 Abs. 2 ErbStG kennt A nicht. Da A sich nicht bewusst war, dass auch ihn selbst eine Anzeigepflicht traf und damit keinen Vorsatz hatte, einen Steueranspruch zu verletzen, hat er keine vorsätzliche Hinterziehung gem. § 370 AO begangen. Nach hier vertretener Ansicht handelt es sich um keinen Verbotsirrtum, sondern um einen Tatumstandsirrtum. Eine andere Frage ist, ob A eine leichtfertige Hinterziehung gem. § 378 AO begangen hat. Insofern ist im Einzelfall darauf abzustellen, ob sich A hätte bemühen müssen, um hinsichtlich eigener schenkungsteuerlicher Pflichten genauere Informationen oder eine Beratung zu erhalten. Nach hier vertretener Ansicht handelte A allenfalls leicht fahrlässig (wenn überhaupt) und nicht leichtfertig.
Hinweis der Steueranwälte von LHP: In der Praxis der Steuerstrafverteidigung können wichtige Verteidigungsansätze auch im Vorsatzbereich gefunden werden. Selbst wenn der objektive Tatbestand einer Hinterziehung vorliegt, ist dann mangels Vorsatz die Strafbarkeit ausgeschlossen. In diesen Fällen kommt es darauf an, gegenüber der Ermittlungsbehörde und dem Strafrichter die besonderen Umstände darzulegen, die den Vorsatz ausschließen. Zwar behaupteten manche Ermittlungsbehörden, dass Irrtümer faktisch ausgeschlossen sind und gehen auf die Irrtumsproblematik teilweise nicht ein. Nach der Erfahrung der Steueranwälte von LHP sind Strafrichter verstärkt bereit, auch den Vorsatz genau unter die Lupe zu nehmen und die Behauptung der Ermittlungsbehörde nicht schlicht zu übernehmen. Strafverteidigung kann insbesondere auch im Vorsatzbereich erfolgreich sein. Dies ist aber nur Plan B. Zunächst sollte die Verteidigung bereits im objektiven Tatbestand ansetzen.
Weitere Praxisfälle erläutert Rechtsanwalt Dirk Beyer in der Fachzeitschrift NWB 2017. S. 1459.
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