Nachdem der Bundesfinanzhof (BFH) seine Rechtsprechung zur Umsatzsteuerpflicht von Aufsichtsratsvergütungen geändert hat, können Aufsichtsratsmitglieder beaufsichtigter Gesellschaften nunmehr durch gezielte Ausgestaltung der Vergütungsvereinbarung Einfluss auf das Entstehen der Umsatzsteuerpflicht im Einzelfall nehmen.
Nach bisheriger Lesart der Finanzverwaltung (Abschn. 2.2 Abs. 2 Satz 7 UStAE a. F.) erfolgte die Tätigkeit als Aufsichtsratsmitglied selbstständig, so dass Aufsichtsratsmitglieder mit ihren Aufsichtsratsvergütungen bislang grundsätzlich der Umsatzsteuerpflicht unterlagen, wenn nicht ausnahmsweise die Kleinunternehmerregelung gemäß § 19 UStG zur Anwendung kam. Aufsichtsräte waren daher bislang als umsatzsteuerliche Unternehmer im Sinne des § 2 UStG zu qualifizieren. Dies war bisher auch ständige Rechtsprechung des BFH (BFH, Urt. v. 20.08.2009 – V R 32/08). Diese Sichtweise galt grundsätzlich auch für jene, die als Arbeitnehmervertreter*innen einem Aufsichtsrat angehörten.
Anders lagen die Dinge allerdings dann, wenn Beamte die Aufsichtsratstätigkeit auf Verlangen, Vorschlag oder Veranlassung ihres jeweiligen Dienstherrn übernommen haben und nach beamtenrechtlichen Vorschriften zur teilweisen oder vollständigen Abführung der Vergütung an den Dienstherrn verpflichtet sind.
Der EuGH stellt in seinem Urteil vom 13.06.2019 (C-420/18 - IO) klar, dass die Tätigkeit eines Aufsichtsratsmitglieds nicht pauschal als selbstständige Tätigkeit im Sinne der MwStSystRL qualifiziert werden kann. Maßgebend für die Bejahung der Selbstständigkeit eines Aufsichtsratsmitglieds ist nach der Rechtsprechung des EuGH, ob das Aufsichtsratsmitglied in eigenem Namen, für eigene Rechnung und in eigener Verantwortung agiert sowie ob dieser das wirtschaftliche Risiko für seine selbstständige Tätigkeit trägt. Bei Vorliegen einer Festvergütung bestehe kein wirtschaftliches Risiko für das Aufsichtsratsmitglied.
Der BFH hat sich in seinem Urteil vom 27.11.2019 (V R 23/19, VR 62/17) der Rechtsprechung des EuGH angeschlossen. Die bisherige generalisierende Qualifizierung von Aufsichtsratsmitgliedern als umsatzsteuerliche Unternehmer ist nun einer differenzierenden Betrachtungsweise mit Blick auf die konkrete Ausgestaltung der zugrundeliegenden Vergütungsvereinbarung gewichen.
In dem dieser Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt war der Kläger als leitender Angestellter bei der Muttergesellschaft der Aktiengesellschaft beschäftigt, in dessen Aufsichtsrat er tätig war. Für seine Tätigkeit im Aufsichtsrat erhielt der Kläger eine Festvergütung sowie Auslagenersatz. Die Aufsichtsratvergütung wurde mit dem Gehalt bei der Muttergesellschaft verrechnet.
Nach Auffassung des BFH trägt der Kläger aufgrund der nicht variablen Festvergütung kein Vergütungsrisiko und ist daher mangels Selbstständigkeit nicht als umsatzsteuerlicher Unternehmer tätig. Das die Selbstständigkeit im Sinne des UStG kennzeichnende Kriterium des wirtschaftlichen Risikos besteht bei einer Festvergütung nach Auffassung des BFH gerade nicht.
In Umsetzung dieser neuen Rechtsprechung hat die deutsche Finanzverwaltung mit Schreiben vom 8.7.2021 (BMF, Schr. v. 08.07.2021 - III C 2 - S 7104/19/10001 :003) entsprechende Änderungen des Umsatzsteuer-Anwendungserlasses (UStAE) vorgenommen. Mit der genannten Verlautbarung des BMF wird die bisherige Regelung in Abschn. 2.2 Abs. 2 Satz 7 UStAE gestrichen und durch die Neuregelung in Abschn. 2.2 Abs. 3a Satz 1 bis 13 UStAE ersetzt. Mit dieser Neuregelung beschränkt sich die Finanzverwaltung bei der Frage nach der Unternehmereigenschaft von Aufsichtsrats- und Gremienmitgliedern auf das Vergütungsrisiko. Hiernach ergeben sich folgende Wechselwirkungen zwischen der Vergütungsvereinbarung und der Umsatzsteuerpflicht:
Bei Vorliegen einer nicht variablen Festvergütung ist die selbständige Tätigkeit des Aufsichtsratsmitglieds mangels eines wirtschaftlichen Risikos zu verneinen. Die Aufsichtsratsvergütung unterliegt in diesem Fall nicht der Umsatzsteuer. Eine Festvergütung liegt insbesondere vor bei:
Bei Vorliegen einer Vergütungsvereinbarung, die aus festen und variablen Bestandteilen besteht (sog. Mischvergütung) ist das Aufsichtsratsmitglied selbstständig tätig, wenn die variablen Bestandteile einschließlich erhaltener Aufwandsentschädigungen im Kalenderjahr mindestens 10% der gesamten Vergütung betragen. Variable Vergütungsbestandteile sind u. a.:
Im Falle einer Mischvergütung ist zunächst eine Ausnahmeregelung der Finanzverwaltung zu beachten, wonach eine Abweichung von der 10% - Grenze in „begründeten“ Ausnahmefällen möglich ist. Allerdings hüllt sich die Finanzverwaltung über die entscheidende Frage in Schweigen, wann ein solcher Fall gegeben ist. In der Praxis haben sich hierzu verschiedene Ansatzpunkte für eine Argumentationslinie herausgebildet. Ferner handelt es sich lediglich um Verwaltungsanweisungen, welche für die Finanzgerichte nicht bindend sind. Im Streitfalle prüfen die Gerichte die Unternehmereigenschaft daher nach den allgemeinen (gesetzlichen) Beurteilungskriterien.
Darüber hinaus bleibt festzuhalten, dass die aufgestellten Anwendungsregeln der Finanzverwaltung durch die Steuerung der Vergütungsvereinbarungen als Gestaltungsinstrument genutzt werden können. Denn die Umsatzsteuerpflicht einer Aufsichtsratsvergütung kann im Einzelfall massive Auswirkungen haben, zum Beispiel wenn die zahlende Gesellschaft nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt ist.
Da die Anwendungsregelungen auf alle offenen Fälle und damit auch für die Vergangenheit anzuwenden sind, sollten betroffene Unternehmen und Aufsichtsräte prüfen, ob eine rückwirkende Rechnungskorrektur nach den umsatzsteuerlichen Korrekturvorschriften für sie in Betracht kommt. Dies betrifft insbesondere nicht zum Vorsteuerabzug berechtigte Unternehmen. Das Aufsichtsratsmitglied würde dann eine Erstattung in Höhe der gezahlten Umsatzsteuer vom Finanzamt erhalten und diese an das Unternehmen weiterleiten.
Im Fall der Unternehmereigenschaft des Aufsichtsratsmitglieds sind bei der Erstellung und Abgabe der Umsatzsteuer-Voranmeldungen die verschiedenen umsatzsteuerlichen Leistungszeitpunkte der einzelnen Tätigkeiten des Aufsichtsratsmitglieds zu beachten. Zu prüfen wäre dann auch, ob ein Antrag auf Durchführung der sog. IST-Besteuerung nach § 20 UStG in Betracht kommt. Denn die IST-Besteuerung würde zu einem Liquiditätsvorteil auf Seiten des Aufsichtsratsmitglieds führen, da die Umsatzsteuer im Rahmen der IST-Besteuerung erst mit Zahlung der Vergütung entsteht und abzuführen ist.
Das Umsatzsteuer-Kompetenzteam von LHP berät Sie gern in allen Fragen rund um die komplexe umsatzsteuerliche Thematik von Aufsichtsrats- und Gremienvergütungen.
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