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Urteil FG Münster stärkt den Übergang von Unternehmen

Das Finanzgericht Münster hat mit 24.11.2021 entschieden, dass der sog. Einstiegstest nach § 13b Abs. 2 Satz 2 ErbStG bei der Übertragung von Anteilen an Kapitalgesellschaften im Wege der teleologischen Reduktion einschränkend auszulegen ist.

Nach Ansicht des FG Münster ist die Vorschrift und damit der Einstiegstest nicht anzuwenden, wenn die Kapitalgesellschaft ihrem Hauptzweck nach einer originär gewerblichen Tätigkeit dient. Die Entscheidung stärkt den Übergang von Unternehmen und gibt Hoffnung auf eine langersehnte Änderung der Verwaltungspraxis zu § 13b Abs. 2 S. 2 ErbStG.

Hintergrund: Umstrittene 90% Regel bei schenkungs- oder erbschaftssteuerweisem Übergang des Betriebsvermögens

Aufgrund des Urteils des BVerfG vom 17.12.2014 reformierte der Gesetzgeber zuletzt im Jahr 2016 das ErbStG. Aus der Gesetzesbegründung wird erkennbar, dass es dem Gesetzgeber insbesondere darum ging, die nach altem Recht bestehende Möglichkeit, Betriebsvermögen, das bis zu 50 % aus Verwaltungsvermögen bestand, vollständig steuerprivilegiert zu übertragen, zu beseitigen. Dadurch sollte der Missbrauchsgefahr effektiv entgegengetreten werden. Das Resultat war jedoch eine sehr starke Verkomplizierung des Gesetzeswortlauts, was die Lektüre und das Verständnis erschwert, und – was schwerer wiegt - eine Umkehrung der Steuerbegünstigung zu einer überzogenen Steuerbelastung des an sich begünstigten Vermögens durch die Schaffung des Alles-oder-Nichts-Prinzips in § 13b Abs. 2 S. 2 ErbStG. 

Im Grundsatz geht es um die Steuerbegünstigung bei schenkungs- oder erbschaftssteuerweisem Übergang des Betriebsvermögens nach § 13a Abs. 1 ErbStG. Nach dieser Vorschrift bleiben 85 % des begünstigten Vermögens steuerfrei (sog. Verschonungsabschlag), wenn der Erwerb begünstigten Vermögens insgesamt 26 Millionen Euro nicht übersteigt. Voraussetzung ist stets, dass begünstigungsfähiges Vermögen i. S. d. § 13b Abs. 1 ErbStG vorliegt und dieses Vermögen i. S. d. § 13b Abs. 2 S. 1 ErbStG begünstigt ist (vereinfacht ausgedrückt: wenn das begünstigungsfähige Vermögen das Verwaltungsvermögen übersteigt). Das erste und das größte Hindernis bildet dabei die 90 %-Regel des § 13b Abs. 2 S. 2 ErbStG. Danach wird die Begünstigung gänzlich versagt, wenn das Verwaltungsvermögen 90 % oder mehr des begünstigungsfähigen Vermögens beträgt. Das – von dem Gesetzgeber möglicherweise nicht zu Ende gedachte – Problem dabei ist, dass der Wortlaut des § 13b Abs. 2 S. 2 ErbStG zum einen die bestehenden Finanzmittel zum Verwaltungsvermögen zählt und zum anderen von einem Verwaltungsvermögen vor Schuldenverrechnung spricht, das heißt von einem nicht bereinigten Brutto-Verwaltungsvermögen. Dieses unbereinigte (Brutto-)Verwaltungsvermögen wird im zweiten Schritt ins Verhältnis zum Unternehmenswert gesetzt. Bei der strikten Befolgung des Wortlauts der Vorschrift entstehen häufig absurde, mit der Lebensrealität und dem gesetzgeberischen Zweck nicht in Einklang zu bringende Ergebnisse, wie etwa im kürzlich entschiedenen Fall des FG Münster.

Urteil des FG Münster: Einstiegstest bei der Übertragung von Anteilen an Kapitalgesellschaften im Wege der teleologischen Reduktion ist einschränkend auszulegen

Der Fall vor dem Finanzgericht Münster: Im Jahr 2017 sind GmbH-Anteile schenkweise vom Vater auf die Tochter übertragen worden. Gegenstand der GmbH war u. a. der Handel und Vertrieb von pharmazeutischen Produkten, mithin eine originär gewerbliche Tätigkeit.

Der Wert der GmbH-Anteile lag bei EUR 555.975. Die Finanzmittel beliefen sich auf EUR 2.517.649 zzgl. EUR 60.000 junge Finanzmittel. Sowohl das Verwaltungsvermögen als auch das junge Verwaltungsvermögen betrugen EUR 0. Die Schulden lagen bei EUR 3.138.504. Das Finanzamt rechnete zum Verwaltungsvermögen i. H. v. EUR 0 Finanzvermögen i. H. v. EUR 2.577.649 hinzu. Dabei ließ das FA - dem Wortlaut des § 13b Abs. 2 S. 2 ErbStG folgend - die Schulden i. H. v. EUR 3.138.504 unberücksichtigt. Dies führte zu dem absurden Ergebnis, dass dem Unternehmenswert i. H. v. EUR 555.975 ein Verwaltungsvermögen i. H. v. EUR 2.577.649 entgegenstand. Das FA versagte daraufhin die Regelverschonung, da der 90 %-Bruttoverwaltungsvermögenstest überschritten war (EUR 2.577.649 /EUR 555.975 = 463%) und setzte die Schenkungsteuer fest.

Das Gericht sprach der Klägerin die Regelverschonung trotz des klaren Wortlauts des § 13b Abs. 2 S. 2 ErbStG dennoch zu. Dabei schloss sich das Gericht der Ansicht der Literatur an und erklärte, dass die Vorschrift dem Normzweck entsprechend im Wege der teleologischen Reduktion dahingehend einschränkend auszulegen sei, dass der Einstiegstest nicht anzuwenden sei, wenn der Hauptzweck der Kapitalgesellschaften, deren Anteile übertragen werden, ein forst- oder landwirtschaftlicher, gewerblicher oder freiberuflicher i. S. d. § 13 Abs. 1, § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 18 Abs. 1 Nr. 1 und 2 EStG ist.

Begründung: Der Grund dafür liege darin, dass insb. bei Handels- und Dienstleistungsunternehmen regelmäßig ein vergleichsweise hoher Bestand an Forderungen aus Lieferungen und Leistungen aus ihrer gewöhnlichen Geschäftstätigkeit vorhanden ist. Wenn jedoch allein der Bestand an solchen Forderungen, die § 13b Abs. 4 Nr. 5 S. 1 ErbStG als Verwaltungsvermögen in Gestalt von Finanzmitteln klassifiziert (und der § 13b Abs. 2 S. 2 ErbStG die Verrechnung mit etwaigen Schulden verbietet), dazu führt, dass der Einstiegstest negativ ausfällt, stellt der Missbrauch, den der Gesetzgeber mit § 13b Abs. 2 S. 2 ErbStG bekämpfen wollte, keine Gefahr mehr dar. Schließlich gebiete Art. 3 Abs. 1 GG wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln. Eine Unterscheidung nach dem Hauptzweck der Tätigkeit der betreffenden Kapitalgesellschaft stelle dabei ein wesentliches Unterscheidungskriterium dar. Letztlich mache es einen entscheidenden Unterschied, ob eine Kapitalgesellschaft nahezu ausschließlich aus Verwaltungsvermögen besteht oder überwiegend der forst- und landwirtschaftlichen, originär gewerblichen oder freiberuflichen Tätigkeit dient.

Bedeutung dieser Entscheidung für die Rechtspraxis in der Unternehmensnachfolge

Der vorliegende Fall macht deutlich, dass die Vorschrift des § 13b Abs. 2 Satz 2 ErbStG in vielen Fällen problematisch ist und an dem gesetzgeberischen Ziel vorbeigeht, weshalb eine sog. teleologische Reduktion erforderlich ist, die zu einer Einschränkung dieser Vorschrift führt.

Denn in Fällen, in denen es kein oder kaum Verwaltungsvermögen gibt, zugleich aber Finanzmittel vorhanden sind, die überwiegend aus Forderungen aufgrund von erbrachten Dienstleistungen bestehen (von denen überdies nicht sicher ist, ob die Schuldner diese Forderungen jemals begleichen werden), liegt es auf der Hand, dass die Versagung der steuerlichen Begünstigung der gesetzgeberischen Absicht widerspricht. Denn gerade wenn diesen Finanzmitteln hohe Verbindlichkeiten gegenüberstehen – die aber wie dargestellt – nicht mit den Finanzmitteln verrechnet werden dürfen, hat das Unternehmen in Wahrheit keinen Bestand an Verwaltungsvermögen, sondern in vielen Fällen lediglich zur Schuldenbedienung erforderliche Mittel oder gar – wenn die Forderungen nicht (alle) werthaltig sind - in Wirklichkeit einen Schuldenberg.

Dass die sich bei strenger Anwendung des Wortlauts der Vorschrift ergebenden Ergebnisse willkürlich sind, zeigt beispielhaft der Fall, wenn in dem vom Finanzgericht entschiedenen Fall einen Tag vor der Schenkung alle Finanzmittel i. H. v. EUR 2.577.649 zur Tilgung der Schulden i. H. v. EUR 3.138.504 herangezogen worden wären. In diesem Fall hätte das Betriebsvermögen weiterhin EUR 555.975 betragen, das Verwaltungsvermögen wäre dagegen EUR 0 gewesen. Folge: Einstiegstest wäre bestanden.

Revision beim Bundesfinanzhof abzuwarten

Durch die jetzt vom Finanzgericht Münster geforderte Unterscheidung nach dem Hauptzweck der Tätigkeit der betreffenden Kapitalgesellschaft verlieren die Ergebnisse in solchen wirtschaftlichen Konstellationen wie dem obigen Beispiel nicht an Absurdität.

Daher ist nach wie vor der Gesetzgeber gefordert, das Erbschaftsteuergesetz nachzubessern. Das Urteil des FG Münster sendet aber ein positives Signal, das den Gesetzgeber – zumindest dann, wenn der Bundesfinanzhof das Urteil bestätigt – vielleicht zum Handeln bewegt.

Die Entscheidung des FG Münster war bereits aufgrund seines am 3.6.2019 ergangenen Beschlusses (Az.: 3 V 3697/18) i. R. d. vorläufigen Rechtsschutzes zwischen denselben Beteiligten absehbar. Damals konnte jedoch die Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 13b Abs. 2 S. 2 ErbStG offengelassen werden. Anders nun im Hauptsacheverfahren, wo das Gericht ausführlich Stellung bezogen hat.

Aufgrund der grundsätzlichen Bedeutung wurde die Revision zugelassen. Das Revisionsverfahren ist beim BFH unter Az.: II R 49/21 anhängig.

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