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Der „Tie-Break“ im Internationalen Steuerrecht
Problemfelder bei der Bestimmung der abkommensrechtlichen Ansässigkeit in Doppelbesteuerungsabkommen - zu Doppelansässigkeit und Tie-Breaker-Rule.
I. Ausgangfrage: Wo ist jemand steuerlich ansässig, wenn er mehrere Wohnsitze/Aufenthaltsorte hat?
In einem Land arbeiten, im anderen wohnen: Im heutigen Arbeits- und Wirtschaftsleben sind solche grenzüberschreitende Sachverhalte keine Seltenheit mehr. So hat sich zum Beispiel die Zahl der Grenzgänger, die in Luxemburg arbeiten, seit 1990 mehr als verdoppelt. Heute sind es nahezu 150.000, davon ca. 40.000 aus Deutschland. Das gilt auch für andere Länder und nicht nur für Arbeitnehmer. Aufgrund der Öffnung des europäischen Arbeitsmarktes und der weiter voranschreitenden Globalisierung sind Unternehmen und ihre Arbeitnehmer so mobil, wie noch nie.
Um die Besteuerung solcher grenzüberschreitenden Sachverhalte zu regeln, haben die Länder oftmals Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) unterzeichnet. Sie regeln, welchem Land das Besteuerungsrecht zustehen soll und wie etwaig entstehende Doppelbesteuerungen verhindert werden. So hat Deutschland bereits mit über 90 Staaten weltweit DBAs abgeschlossen. Sie orientieren sich meistens an dem von der OECD entwickelten Musterabkommen (OECD-MA).
Ein zentraler Anknüpfungspunkt für die Zuteilung des Besteuerungsrechts in den Abkommen ist der Begriff der „Ansässigkeit“, der in Art. 4 Abs.1 OECD-MA legaldefiniert wird. Danach bedeutet „eine in einem Vertragsstaat ansässige Person“ eine Person, die nach dem Recht dieses Staates (nach deutschem Recht z.B. § 8 AO) dort auf Grund ihres Wohnsitzes, ihres ständigen Aufenthaltes, des Ortes ihrer Geschäftsleitung oder eines anderen ähnlichen Merkmals steuerpflichtig ist.
Oftmals kommt es vor, dass nach dieser Definition eine Person in beiden Vertragsstaaten ansässig ist. Welcher Staat in einem solchen Fall „als Sieger vom Platz gehen“ soll, entscheidet sich nach den Regeln des Art. 4 Abs.2 und 3 OECD-MA, weshalb sie auch als Tie-Breaker-Rule bezeichnet wird.
So klar und eindeutig wie bei einem Tie-Break Match im Tennis sind die Regeln des Art. 4 Abs.2 und 3 OECD-MA aber leider nicht. Die Anwendung gestaltet sich insbesondere aufgrund der Verwendung einer Vielzahl von offenen, unbestimmten Begriffen als äußerst diffizil, was zu einer erheblichen Rechtsunsicherheit führen kann. Steuerpflichtige, die mit grenzüberschreitenden Sachverhalten in Berührung kommen, sollten im Zweifelsfalle ihre abkommensrechtliche Ansässigkeit schnellstmöglich klären lassen. Von der Ansässigkeit hängen ganz wesentliche Folgen für die weitere Besteuerung ab, denn dem Staat der Ansässigkeit stehen viel umfangreichere Besteuerungsrechte zu, als dem nach der Tie-Breaker-Rule unterlegenen Staat.
II. Funktionsweise der Tie-Breaker-Rule bei Doppelansässigkeit
Ist eine Person aufgrund mehrerer Wohnsitze in jedem dieser Staaten steuerlich ansässig (sog. doppelte bzw. mehrfache Ansässigkeit) regelt Art. 4 OECD-MA, welcher Staat der „Haupt - Ansässigkeitsstaat“ sein soll. Art. 4 Abs. 1 OECD-MA lautet: Im Sinne dieses Abkommens bedeutet der Ausdruck „eine in einem Vertragsstaat ansässige Person“ eine Person, die nach dem Recht dieses Staates dort auf Grund ihres Wohnsitzes, ihres ständigen Aufenthaltes, des Ortes ihrer Geschäftsleitung oder eines anderen ähnlichen Merkmals steuerpflichtig ist“ (…).
Mit „steuerpflichtig“ ist die unbeschränkte Steuerpflicht nach nationalem Recht gemeint, das heißt eine Steuerpflicht, die sich aufgrund einer besonderen territorialen Beziehung des Steuerpflichtigen zu dem jeweiligen Staat ergibt (sog. Territorialprinzip), sich aber auf sämtliche in- und ausländische Einkünfte erstreckt (sog. Welteinkommensprinzip). Im deutschen Recht finden sich entsprechende Regelungen zum Beispiel in § 1 EStG und § 1 KStG für die Einkommen- bzw. Körperschaftsteuer. Bereits bei diesen Eingangsfeststellungen begegnet man also unbestimmten Rechtsbegriffen - „Wohnsitz“, „ständiger Aufenthalt“, „Ort der Geschäftsleitung“. Was ist darunter zu verstehen und wer bestimmt die Art der Auslegung dieser Begriffe?
Festzuhalten ist Folgendes: Die Auslegung des Wortlauts des Art. 4 Abs.1 MA-OECD und dessen Begriffe bestimmt sich zunächst nur nach den innerstaatlichen Rechtsordnungen. D.h. das jeweils betroffene nationale Recht bestimmt, ob eine Personen einen Wohnsicht oder gewöhnlichen Aufenthalt hat und aus diesem Grund in dem Staat unbeschränkt steuerpflichtig ist.
In Deutschland finden sich diese Regeln in der Abgabenordnung (AO), die durch die Rechtsprechung teilweise konkretisiert wurden:
Gemäß § 8 AO hat jemand einen Wohnsitz dort, wo er eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, dass er die Wohnung beibehalten und nutzen wird. Erforderlich sind zum dauerhaften Wohnen geeignete Räumlichkeiten, über die der Steuerpflichtige tatsächlich verfügt und die er regelmäßig als eigene benutzt. Eine Mindestanzahl an Tagen, in denen sich der Steuerpflichtige dort aufhält ist allerdings nicht erforderlich. Nur gelegentliche Aufenthalte beispielsweise zur Urlaubszwecken reichen dennoch nicht aus. Auch ein rein geschäftlich motiviertes Aufsuchen der Räumlichkeiten vermag keinen Wohnsitz iSd § 8 AO zu begründen.
Dem Begriff des ständigen Aufenthaltes entspricht in § 9 AO der Begriff des gewöhnlichen Aufenthaltes. Danach hat jemand seinen gewöhnlichen Aufenthalt dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Als gewöhnlicher Aufenthalt ist stets und von Beginn an ein zeitlich zusammenhängender Aufenthalt von mehr als 6 Monaten Dauer anzusehen, wenn der Aufenthalt nicht ausschließlich privaten Zwecken dient. Kurzfristige Unterbrechungen bleiben dabei unberücksichtigt.
Den Ort der Geschäftsleitung definiert § 10 AO als den Mittelpunkt der geschäftlichen Oberleitung. Maßgeblich soll dabei der Ort sein, an dem die zentralen Entscheidungen des Tagesgeschäfts getroffen werden.
Als „anderes ähnliches Merkmal“ taucht im deutschen Steuerrecht das Merkmal des Sitzes auf. Gemäß § 11 AO hat eine Körperschaft, Personenvereinigung oder Vermögensmasse ihren Sitz an dem Ort, der durch Gesetz, Gesellschaftsvertrag, Satzung, Stiftungsgeschäft oder dergleichen bestimmt ist (z.B. § 1 Abs. 1 KStG).
Die inhaltliche Konkretisierung der Begriffe kann von Staat zu Staat eine andere sein. Je nach Lage des Sachverhalts kann es also vorkommen, dass zwei Staaten eine Person als unbeschränkt steuerpflichtig ansehen. Die Konsequenz ist dann, dass diese Person im Sinne des Art. 4 Abs.1 OECD-MA in zwei Staaten ansässig ist, es liegt also eine Doppelansässigkeit vor.
Tie Breaker Rule – Internationales Steuerrecht | LHP Rechtsanwälte Steuerberater
Der „Tie-Break“ im Internationalen Steuerrecht.
RA/StB Lars Kelterborn informiert zum Thema Tie Breaker Rule.
In immer internationaler werdenden Strukturen, fällt es dem steuerlichen Laien schwer zu bestimmen, in welchen Ländern er steuerliche Anknüpfungspunkte hat und in welchem dieser Länder er steuerlich ansässig ist. An diese Qualifikation knüpfen sich aber eine ganze Reihe von Rechtsfolgen, die es zu beachten gilt. Misslingt die Qualifikation der Ansässigkeit, kann dies schwerwiegende Folgen haben, denn dann bleiben bestehende steuerliche Pflichten in einem Land unter Umständen unbemerkt und münden in steuerlichen oder gar strafrechtlichen Ermittlungsverfahren.
Auch wenn die oben vorgestellte stufenweise Prüfung (Wohnsitz Mittelpunkt der Lebensinteressen gewöhnlicher Aufenthalt Staatsangehörigkeit Verständigung zwischen den Vertragsstaaten) ein Schema vorgibt, unterliegen die Begrifflichkeiten doch einer ständigen Fortentwicklung durch die Vertragsstaaten und deren Gerichte. Es ist also immer eine Einzelfallbetrachtung bzw. -wertung vorzunehmen.
LHP Rechtsanwälte beraten aufgrund ihrer jahrelangen Erfahrung im Internationalen Steuerrecht Mandanten regelmäßig in grenzüberschreitenden Fragen des Steuerrechts und Gesellschaftsrechts.
Unsere für das Internationale Steuerrecht besonders qualifizierten Rechtsanwälte, Steuerberater und Fachanwälte für Steuerrecht beherrschen zudem die gängigen Fremdsprachen. Wir beraten unsere Mandanten dabei von Anfang und stehen in engem Kontakt zu ihnen. Sollte es erforderlich sein, lösen wir Konflikte mit den Finanzämtern und Steuerfahndungsstellen auch im Ausland.
Doppelbesteuerungsabkommen und Treaty Overrides
Auflösung der Doppelansässigkeit nicht-natürlicher Personen
Im Gegensatz zu der Regelung für natürliche Personen sieht Art. 4 Abs.3 OECD-MA für juristische Personen (z.B. GmbH, AG) und Personengesellschaften (z.B. OHG, KG) nur ein einziges Ansässigkeitsmerkmal vor: Danach gilt die nicht-natürliche Person als nur in dem Staat ansässig, in dem sich der Ort ihrer tatsächlichen Geschäftsleitung befindet.
Auch hier handelt es sich um einen eigenständigen Begriff, der abkommensrechtlich ausgelegt werden muss. Unter Geschäftsleitung versteht man die grundlegenden Leitungs- und kaufmännischen Entscheidungen, die zur Führung der Geschäfte des Unternehmens notwendig sind. Der Ort der Geschäftsleitung ist dabei von dem (den) Ort(en) zu unterscheiden an denen das Unternehmen operativen tätig ist, also am Markt auftritt. Auf diese(n) Ort(e) kommt es hier nicht an. Bei der Prüfung, an welchem Ort die Geschäftsleitung eines Unternehmens stattfindet, ist darauf abzustellen, wo die wesentlichen unternehmerischen Entscheidungen getroffen werden. Unerheblich ist, von wo aus außergewöhnliche Entscheidungen erfolgen.
Mit „tatsächlich“ wird betont, dass nicht die rechtlichen, sondern vielmehr die tatsächlichen Verhältnisse von Bedeutung sind. Was in der Satzung oder im Gesellschaftsvertrag steht, ist insoweit unbedeutend und kann allenfalls eine indizielle Wirkung haben.
Insoweit deckt sich der Begriff „Ort der tatsächlichen Geschäftsleitung“ weitestgehend mit dem deutschen innerstaatlichen Begriff „Ort der Geschäftsleitung“ aus § 10 AO.
Der gewöhnliche Aufenthalt
Das Ansässigkeitsmerkmal des gewöhnlichen Aufenthalts kommt in zwei Fällen zur Anwendung: entweder liegt gar keine „ständige Wohnstätte“ vor, oder aber es konnte nicht bestimmt werden, wo sich der Mittelpunkt der Lebensinteressen befindet.
Bei der Auslegung sind diese unterschiedlichen Situationen zu berücksichtigen. Hat ein Steuerpflichtiger eine ständige Wohnstätte in beiden Vertragsstaaten und kann nur der Mittelpunkt der Lebensinteressen nicht bestimmt werden, so liegt eine relativ starke Bindung zu beiden Vertragsstaaten vor. Hier soll der Begriff des gewöhnlichen Aufenthaltes den Mittelpunkt der Lebensinteressen konkretisieren: Daher wird ein Aufenthalt dann als gewöhnlich zu werten sein, wenn er der Verwirklichung der persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen dient und eine gewisse Dauer überschreitet bzw. überschreiten soll. Es ist darauf abzustellen, in welchem Staat der Steuerpflichtige sich normalerweise bzw. häufiger aufhält.
Verfügt der Steuerpflichtige in keinem der Staaten über eine ständige Wohnstätte, sind seine geographischen Bindungen zu dem jeweiligen Staat eher als gering einzuschätzen. Hier ist es angebracht eine weitere Definition des gewöhnlichen Aufenthaltes anzusetzen. Es können alle Aufenthalte berücksichtigt werden, also sowohl berufliche als auch private.
In beiden Fällen setzt der Begriff des „gewöhnlichen Aufenthaltes“ ein bestimmtes zeitliches Moment voraus. Es muss eine bestimmte Mindestdauer oder Häufigkeit bzw. Wiederholungsabsicht vorliegen. Wird ein Aufenthalt in einem Staat durch Aufenthalte in anderen Staaten unterbrochen, so muss die betreffende Person die Absicht haben, kontinuierlich zurückzukehren. Zwischen den (unterbrochenen) Aufenthalten muss ein ausreichender Sachbezug bestehen.
Der abkommensrechtliche Begriff des „gewöhnlichen Aufenthaltes“ ist etwas weiter gefasst als der innerstaatliche Begriff des § 9 AO. Ein Pendler, der in einem anderen Vertragsstaat beruflich tätig ist und jeden Tag nach der Arbeit zu Wohnzwecken zurückkehrt, hat in dem Vertragsstaat der Arbeitsausübung keine gewöhnlichen Aufenthalt iSd § 9 AO, denkbar ist aber die Annahme eines gewöhnlichen Aufenthaltes iSd Art. 4 OECD-MA.
Hat eine Person nach den oben genannten Grundsätzen ihren gewöhnlichen Aufenthalt in beiden Staaten oder in keinem der Staaten, so gilt sie als nur in dem Staat ansässig, dessen Staatsangehöriger sie ist (Art. 4 Abs.2 c) OECD-MA). Führt auch diese Prüfungsstufe, z.B. wegen doppelter Staatsangehörigkeit, nicht zu einem eindeutigen Ergebnis, sieht Art. 4 Abs.2 d) OECD-MA vor, dass die zuständigen Behörden der Vertragsstaaten die Frage der Ansässigkeit in gegenseitigem Einvernehmen regeln.
Die engeren persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen (Mittelpunkt der Lebensinteressen)
Ob ein Steuerpflichtiger in einem Staat den Mittelpunkt seiner Lebensinteressen hat, bestimmt sich zunächst nur nach objektiven Kriterien. Wo der Steuerpflichtige selbst den Mittelpunkt seiner Lebensinteressen sieht, ist hingegen irrelevant.
Unter persönliche Beziehungen versteht die Rechtsprechung die gesamte private Lebensführung, also familiäre, gesellschaftliche, politische und kulturelle Beziehungen.
Liegen familiäre Beziehungen vor, so wird ihnen in der Regel die größte Bedeutung zugemessen, so dass regelmäßig die stärkste persönliche Beziehung zu dem Ort vorliegt, an dem der Steuerpflichtige regelmäßig mit seiner Familie lebt. Keineswegs ist dies allerdings zu verallgemeinern. Auch in diesem Punkt ist wiederum eine Wertung vorzunehmen. In die Waagschale zu werfen sind beispielsweise das Bestehen eines Freundes- und Bekanntenkreises, die Mitgliedschaft in einem Verein, andere soziale Engagements, der Ort an dem ein Hobby ausgeübt wird oder sogar ein gutes Verhältnis zu einem Hausarzt der regelmäßig konsultiert wird (Finanzgericht Baden Württemberg v. 25.10.2006- 3 V 23/05).
Wirtschaftliche Beziehungen gehen vor allem von örtlich gebundenen Tätigkeiten, Einnahmequellen und Vermögensgegenständen aus. Sie bestehen zum Beispiel zu dem Ort, von dem aus die Person ihrer täglichen Arbeit nachgeht, beziehungsweise von dem aus sie ihr Vermögen verwaltet. Wirtschaftliche Beziehungen liegen aber genauso zu dem Staat vor, in dem sich ein etwaiger Grundbesitz (Immobilien) befindet.
Die Kriterien der persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen müssen nicht kumulativ vorliegen um den Mittelpunkt der Lebensinteressen in einem Staat festzumachen. Es ist durchaus möglich, dass ein Steuerpflichtiger sowohl zum einen, als auch zum anderen Vertragsstaat wirtschaftliche oder persönliche Beziehungen unterhält. In einem solchen Fall muss im Wege einer zusammenfassenden Wertung ermittelt werden, ob in einem Vertragsstaat ein Schwerpunkt auszumachen ist. Bestehen beispielsweise zu einem Vertragsstaat die deutlich engeren persönlichen Beziehungen und außerdem noch ins Gewicht fallende wirtschaftliche Beziehungen und zu dem anderen Vertragsstaat nur gegenwartsbezogene wirtschaftliche Beziehungen, die sich voraussichtlich in der Zukunft vermindern werden, so liegt der Mittelpunkt der Lebensinteressen in dem erstgenannten Staat (BFH v. 27.3.2007 – 3 V 23/05).
Ist allerdings kein Schwerpunkt auszumachen, so ist die Ansässigkeit in einer weiteren Prüfungsstufe zu bestimmen, nämlich nach dem gewöhnlichen Aufenthalt.
Gemäß Art. 4 Abs.2 b) OECD-MA gilt: Kann nicht bestimmt werden, in welchem Staat die Person den Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen hat, oder verfügt sie in keinem der Staaten über eine ständige Wohnstätte, so gilt sie als nur in dem Staat ansässig, in dem sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat.
Die ständige Wohnstätte
Erstes Ansässigkeitsmerkmal ist das Verfügen über eine ständige Wohnstätte. Dies sind zunächst alle Räumlichkeiten, die nach Art und Einrichtung zum Wohnen geeignet sind. Das kann eine Eigentumswohnung oder –haus sein, aber auch eine gemietete Räumlichkeit. Ein qualitativer Mindeststandard wird hier nicht gefordert. Insoweit deckt sich die Bedeutung der Wohnstätte mit der des Wohnsitzes weitestgehend. Mit anderen Worten: Größe und Wert der Wohnstätte sind unmaßgeblich, so dass es für die Bestimmung der Ansässigkeit keine Rolle spielt, ob die Person in dem einen Staat über ein Luxusanwesen verfügt und in dem anderen Staat „nur“ über eine kleine Eigentumswohnung.
Bei der ständigen Wohnstätte wird zusätzlich aber ein Element persönlicher Bindung an die Wohngelegenheit gefordert. Zwar ergibt sich dies nicht eindeutig aus dem deutschen Wortlaut (allenfalls ist dies aus der Qualifikation als „ständig“ herauszulesen), im Rahmen der abkommensrechtlichen Auslegung sind aber auch andere Fassungen heranzuziehen, insbesondere die Englische und Französische. Hier werden jeweils die Begriffe „home“ und „foyer d´habitation“ genutzt, die beide in gewisser Hinsicht ein subjektives Element beinhalten. Danach müssen Art und Intensität der Nutzung die Wohnstätte als eine nicht nur hin und wieder aufgesuchte, sondern im allgemeinen Lebensrhythmus einbezogene Anlaufstelle des Steuerpflichtigen erscheinen lassen. Die Wohnstätte muss mit einer gewissen Regelmäßigkeit bewohnt, d.h. tatsächlich genutzt werden. Allgemeine Angaben, wie häufig die Wohnstätte genutzt werden muss, lassen sich nicht machen, es erfolgt vielmehr eine Wertung im Einzelfall. In einem Urteil v. 16.12.1998 – I R 40-97 hatte der BFH zum Beispiel entschieden, dass die Miete eines kleinen möblierten Zimmers und später einer größeren Wohnung bei einer Anwesenheit von ca. 50 Tagen im Jahr als ständige Wohnstätte zu qualifizieren ist.
Sehr umstritten und ebenfalls nicht abschließend zu beantworten ist die Frage, inwiefern auch bei einem zeitlich begrenzten „Verfügen“ über eine Wohnstätte noch von einer „ständigen Wohnstätte“ die Rede sein kann. Auch hier wird im Ergebnis eine Wertung im Einzelfall durchzuführen sein. Das Finanzgericht Köln (EFG 1983, 108, 109; RIW 1983, 383) hatte beispielsweise das Vorliegen einer ständigen Wohnstätte verneint, da der Aufenthalt von vornherein auf längstens zwölf Monate befristet war.
Eine Person verfügt über die Wohnstätte, wenn sie die tatsächliche, nicht aber notwendigerweise rechtliche Verfügungsmacht innehat. Dabei muss es sich um eine längerfristige Zugriffsmöglichkeit handeln um auch das Merkmal der „Ständigkeit“ noch zu erfüllen. Dies ist beispielsweise bei Hotelunterkünften problematisch. Hierzu hat die Rechtsprechung entschieden, dass die Nutzung wechselnder Zimmer im selben Hotel insofern keine ständige Wohnstätte begründen kann (FG Köln, Urteil v. 2.3.10 - 15 K 4135/05), beziehungsweise nur die gelegentliche Übernachtung, ohne dass dazwischen persönliche Gegenstände zurückgelassen werden, keine ausreichende Verfügungsbefugnis im Sinne einer ständigen Wohnstätte begründet (FG Hamburg v. 20.10.2011 – 3 V 41/11).
Mit diesem ersten Ansässigkeitsmerkmal der „ständigen Wohnstätte“ können schon einige Fälle der Doppelansässigkeit aufgelöst werden, in vielen Fällen reicht dieses Kriterium allerdings nicht aus: Eine Person, die beispielsweise in Deutschland wohnt, aber 2mal im Monat für einige Tage eine (eigene/gemietete) 1-Zimmer-Wohnung in die Schweiz nutzt, um von dort aus eine Betriebsstätte, die zu seinem Unternehmen gehört, zu betreuen, hat nach den oben genannten Definitionen zwei „ständige Wohnstätten“. Für solche Fälle hält Art. 4 Abs.2 OECD-MA das nächste Ansässigkeitsmerkmal bereit:
Stufenweise Auflösung der Doppelansässigkeit natürlicher Personen
Der Vertragsstaat in dem eine natürliche Person bei Doppelansässigkeit als ansässig gilt, bestimmt sich gemäß Art. 4 Abs.2 OECD-MA nach Ansässigkeitsmerkmalen, die in einer bestimmten Reihenfolge zu prüfen sind. Ist ein vorrangiges Merkmal anwendbar, so schließt dies die Anwendung der nachrangigen Merkmale aus.
Zunächst bestimmt Art. 4 Abs.2 a) OECD-MA: Die Person gilt als nur in dem Staat ansässig, in dem sie über eine ständige Wohnstätte verfügt; verfügt sie in beiden Staaten über eine ständige Wohnstätte, so gilt sie als nur in dem Staat ansässig, zu dem sie die engeren persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen hat (Mittelpunkt der Lebensinteressen).
Auflösung der Doppelansässigkeit durch die Tie-Breaker-Rule
Der Funktionsweise eines jeden Doppelbesteuerungsabkommens ist die Zuordnung der Ansässigkeit einer Person vorgelagert. Diese Zuordnung legt fest, welcher Staat in dem jeweiligen DBA die Führung übernimmt. Diese Aufgabe regelt für natürliche Personen Art. 4 Abs. 2 OECD-MA, für nicht-natürliche Personen (z.B. Körperschaften) Art. 4 Abs.3 OECD-MA. Anhand der im Folgenden noch darzustellenden Parameter ermitteln diese Normen, zu welchem der Staaten die (natürliche oder juristische) Person eine engere Beziehung unterhält.
Diese Parameter und Merkmale werden aber nicht nach innerstaatlichem Recht ausgelegt, sondern sind abkommensrechtlich und damit autonom auszulegen. Grundsätzlich maßgebend sind dabei zunächst die Vorgaben des OECD-MA.