Wer Einkünfte im Ausland erzielt, steht regelmäßig vor der Frage, ob und in welcher Höhe diese auch in Deutschland zu versteuern sind. Besondere Schwierigkeiten hat in der Vergangenheit die Anwendung der Rückfallklausel des § 50d Abs.9 S.1 EStG bereitet. Finanzverwaltung und Finanzgerichtsbarkeit waren sich uneins, in welchen Fällen die Klausel greift. Steuerpflichtige, deren Einkünfte betroffen waren, sahen sich einer massiven Rechtsunsicherheit ausgesetzt. Dieser unerfreulichen Lage hat der Bundesfinanzhof (BFH) in einem Urteil vom 20.5.2015 (Az. I R 68/14) nun ein Ende bereitet, und eine Anwendung der Klausel vorgeschlagen, der sich auch die Finanzverwaltung angeschlossen zu haben scheint.
Gemäß § 1 Abs.1 S.1 EStG sind natürliche Personen, die im Inland einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, unbeschränkt einkommensteuerpflichtig. Erfasst wird das Welteinkommen der ansässigen Person, das heißt sowohl inländische wie auch ausländische Einkünfte. Will der ausländische Staat, in dem Einkünfte erzielt werden, diese ebenfalls besteuern, so kommt es zu einer doppelten Besteuerung. Um diesem Phänomen entgegenzuwirken, hat die Bundesrepublik Deutschland eine Vielzahl von Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) mit anderen Staaten geschlossen. Größtenteils funktionieren diese nach der sogenannten Freistellungsmethode: Zunächst weist das Abkommen einem oder beiden Vertragsstaaten das Recht zu, eine bestimmte Einkunftsart (wie zum Beispiel unbewegliches Vermögen, Dividenden, Zinsen, selbstständige Arbeit, unselbstständige Arbeit…) zu besteuern. Die sich unter Umständen ergebende oder verbleibende Doppelbesteuerung wird in einem zweiten Schritt dann über eine Freistellungsklausel beseitigt, welche regelmäßig bestimmt, dass der Wohnsitzstaat (bei einer gemäß § 1 EStG unbeschränkt einkommensteuerpflichtigen Person also Deutschland) Einkünfte von der Besteuerung ausnimmt, wenn diese nach dem Abkommen im anderen Vertragsstaat besteuert werden dürfen.
In einigen Fällen kann es allerdings durch das jeweilige DBA zu einer doppelten Nichtbesteuerung kommen und damit zu sog. „weißen Einkünften“. Diese sind dem Gesetzgeber und der Finanzverwaltung natürlich ein „Dorn im Auge“. Als Reaktion etablierte der Gesetzgeber sog. Rückfallklauseln („subject-to-tax“ oder „switch-over“-Klauseln). Bei „subject-to-tax“-Klauseln erhält der Staat, welcher zunächst auf sein Besteuerungsrecht verzichtet hatte, das volle Besteuerungsrecht zurück. „Switch-over“-Klauseln ordnen hingegen ein Wechsel von der oben beschriebenen Freistellungsmethode zur sogenannten Anrechnungsmethode an, bei der die unter Umständen gezahlte ausländische Steuer auf die inländische Steuer angerechnet wird (§ 34c EStG).
§ 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 EStG erfasst Fälle, in denen der Vertragspartner bestimmte Abkommensregelungen anders auslegt als Deutschland und Einkünfte anderen Regelungen unterordnet, mit der Folge, dass es zu einer Nicht- oder Minderbesteuerung kommt (sog. Qualifikationskonflikt).
§ 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 EStG stellte unsere bisherige Beratungspraxis als Rechtsanwälte, Steuerberater sowie Fachanwälte für Steuerrecht und unsere Kollegen vor nicht unerhebliche Unsicherheiten, da es an höchstrichterlicher Rechtsprechung zur Auslegung dieser Norm mangelte. Diese Norm, der eine „mystische Verklausulierung“ nachgesagt wird, soll Fälle erfassen, in denen die Einkünfte im anderen Staat aus den genannten Gründen (fehlender Wohnsitz, ständiger Aufenthalt, Ort der Geschäftsleitung, Sitz oder ähnliches Merkmal) nicht von der unbeschränkten Steuerpflicht erfasst werden und zusätzlich nach den dort Regeln nicht der beschränkten Steuerpflicht unterfallen. Hervorzuheben ist insbesondere, dass anderweitige Gründe für die Nichtbesteuerung unbeachtlich sind. Dazu zählt z.B. eine aufgrund eines Verlustausgleichs entfallende Besteuerung.
Das Problem tauchte unter anderem bezüglich in Deutschland ansässiger Piloten auf, die im Ausland für ausländische Fluggesellschaften arbeiteten. Aufgrund der geltenden DBA-Abkommen hatte jeweils der andere Vertragsstaat (UK, Irland) das Recht, den Arbeitslohn der Piloten zu besteuern. Allerdings wurden die Piloten gemäß den ausländischen Steuergesetzen nur als beschränkt steuerpflichtig behandelt (weil sie lt. DBA in Deutschland ansässig waren), so dass lediglich ein kleiner Teil ihres Arbeitslohns tatsächlich besteuert wurde, nämlich der Teil, der auf die Flugzeit über Britischem/Irischem etc. Hoheitsgebiet entfiel. Das zuständige deutsche Finanzamt berücksichtigte bei der Festsetzung der Einkommenssteuer den im Ausland nicht besteuerten Teil unter Berufung auf § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 EStG. Hiergegen klagten die Piloten und wandten sich gegen diese sog. Atomisierung von Einkünften.
Während die Finanzverwaltung und Teile der Finanzgerichtsbarkeit sich dafür aussprachen, den Lohn, also die „Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit“ in Einzelteile (Atomisierung) zu zerlegen und auf diese Weise die nichtbesteuerten Teile der Rückfallklausel zu unterwerfen, stellte sich der BFH schon früh auf den Standpunkt, dass die entsprechenden ausländischen Einkünfte „in toto“, also als Gesamtheit, freizustellen seien, sobald ein Teil der Einkünfte im Ausland besteuert wurde.
Mit seinem letzten Urteil hat der BFH nun allerdings ein Machtwort gesprochen und sich nochmals gegen die von den Finanzämtern betriebenen Atomisierung von Einkünften gewandt. Im Ergebnis hält der BFH §50d Abs.9 Satz 1 Nr.2 EStG für nicht einschlägig, wenn zumindest ein Teil der Einkünfte im anderen Staat der Besteuerung unterworfen ist.
Bereits sehr früh war der BFH in seinem „Kanada-Urteil“ von 1997 (Az. I R 127/95) gegen eine Atomisierung von Einkünften eingetreten. Dies bestätigte der BFH nochmal in seinem Beschluss vom 19.12.2013 (Az. I B 109/13). Trotzdem fühlte sich die Finanzverwaltung mit Hilfe von Nicht-Anwendungserlässen an diese höchstrichterliche Rechtsprechung nicht gebunden und fand damit leider auch Gehör in der Literatur und Teilen der Finanzgerichtsbarkeit. Diese Streitfragen und Rechtsunsicherheiten sollten durch das Urteil vom 20.5.2015 (Az. I R 68/14) nun endgültig geklärt sein.
In der Urteilsbegründung wandte sich der BFH gegen die Ansicht des Vorinstanz (FG Berlin-Brandenburg) und eine Aufspaltung der Einkünfte (Atomisierung). Es gehe dem Wortlaut nach um „Einkünfte, die nach einem Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung von der Bemessungsgrundlage der deutschen Steuer auszunehmen sind“. Diese Formulierung und damit der Wortlaut der Norm zeige, dass der Begriff „Einkünfte“ in § 50d Abs.9 EStG abkommensrechtlich zu bestimmen sei. „Einkünfte“ seien demnach alle Einkünfte, die sich einer abkommensrechtlichen Einkunftsart zuordnen lassen, die in den Art. 6 bis 21 des OECD-Musterabkommens geregelt ist. Einkunftsarten sind demnach zum Beispiel Einkünfte aus unbeweglichem Vermögen (Art.6), Dividenden (Art.10) oder Einkünfte aus unselbstständiger Arbeit (Art.15).
Für diese Betrachtungsweise spricht zudem, dass der Besteuerungsrückfall in § 50d Abs. 9 EStG angeordnet werde, „wenn“, nicht aber „soweit“ die Einkünfte im anderen Vertragsstaat nicht steuerpflichtig sind. Der Gesetzgeber hat sich hier also ausdrücklich gegen eine quantitative Konditionierung und somit auch gegen eine Aufspaltung der Einkünfte (Atomisierung) entschieden.
Im Ergebnis sind somit alle Einkünfte, die einer abkommensrechtlichen Einkunftsart zuzuordnen sind, in Deutschland steuerbefreit, sobald auch nur ein Teil dieser Einkünfte im Ausland besteuert wird. Wird also der Lohn eines Piloten, welcher der Einkunftsart „Einkünfte aus unselbstständiger Arbeit“ zuzuordnen ist, im Ausland auch nur teilweise besteuert, ist insgesamt von einer Steuerpflicht im Sinne des § 50d Abs.9 S.1 Nr.2 EStG auszugehen. Die subject-to-tax Klausel des § 50 Abs. 9 EStG und ein Besteuerungsrecht Deutschlands scheiden dann folglich aus.
Da der Bundesfinanzhof nun in mehreren Entscheidungen den gleichen Standpunkt eingenommen hat, ist in diesem Punkt von einer gefestigten Rechtsprechung auszugehen. Zwar binden Entscheidungen des Bundesfinanzhofs gemäß § 110 FGO nur die am Rechtsstreit beteiligten Personen, das Urteil vom 20.5.2015 wurde allerdings im Bundessteuerblatt Teil II veröffentlicht (BStBl II 2016, 90). Durch die Veröffentlichung entsteht zumindest eine verwaltungsinterne Bindung dergestalt, dass die Entscheidung grundsätzlich bei der Bearbeitung gleichgelagerter Fälle von den Finanzämtern zu beachten ist.
Zu beachten bleibt allerdings, dass der Bundesfinanzhof Bedenken bezüglich der Verfassungsmäßigkeit des § 50d Abs. 9 S. 1 Nr.2 EStG geäußert hat und gemäß Art. 100 GG eine Entscheidung vom Bundesverfassungsgericht zu der Frage eingeholt hat, ob die nationale Rückfallklausel gegen Art.2 Abs.1 i.V.m. Art. 20 Abs.3 und Art. 25 GG verstößt, „weil die abkommensrechtliche Freistellung […]ungeachtet eines Abkommens zur Vermeidung der Doppelbesteuerung nicht gewährt wird, wenn die Einkünfte in dem anderen Staat nur deshalb nicht steuerpflichtig sind, weil sie von einer Person bezogen werden, die in diesem Staat nicht unbeschränkt steuerpflichtig ist“ (Vorlagebeschluss v. 20.08.2014 – I R 86/13). Das Verfahren ist beim Bundesverfassungsgericht noch anhängig, eine Entscheidung bleibt abzuwarten. Anzumerken ist aber, dass das Bundesverfassungsgericht in einer ähnlichen Konstellation (Beschluss vom 15.12.2015) bereits über die Verfassungsmäßigkeit von der Nachbarnorm § 50d Abs. 8 EStG entschieden hat und klargestellt hat, dass die Norm als sogenanntes „Treaty-Override“ verfassungsmäßig ist.
Aufgrund unser jahrelangen Erfahrung im Internationalen Steuerrecht beraten wir unsere Mandanten regelmäßig in grenzüberschreitenden Fragen des Steuer- und Gesellschaftsrechts. Dabei geht es sehr häufig um die Auslegung des jeweils einschlägigen Doppelbesteuerungsabkommens. Das hier besprochene Urteil des BFH zeigt, wie hartnäckig und ignorant sich Finanzverwaltung und ihre Finanzämter in Bezug auf die Rechtsprechung des BFH erweisen. Es zeigt aber auch, dass die Praxis der Nicht-Anwendungserlasse der Finanzverwaltung auf Dauer kein probates Mittel ist, um die Rechtsprechung des BFH zu umgehen. Sollten Sie feststellen, das Finanzamt Ihre ausländischen Einkünfte zu Unrecht berücksichtigt, so empfehlen wir Ihnen dringend die Hilfe eines Rechtsanwalts, Fachanwalts für Steuerrecht bzw. Steuerberaters hinzuzuziehen, um Ihre Rechte mit Hilfe von Einspruch und Klage durchzusetzen. Sollte anderseits ausländische Einkünfte zu Unrecht nicht in Deutschland besteuert worden sein, empfiehlt sich die Prüfung der Abgabe einer Selbstanzeige.
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