Auch Feststellungsbescheide können nach der BGH-Rechtsprechung ein Hinterziehungserfolg sein. Strafbarkeit wegen Steuerhinterziehung droht damit bereits dann und nicht erst auf der späteren Ebene der Einkommensteuer. Unserem Mandanten bieten wir hier eine kritische Auseinandersetzung mit der aktuellen Rechtsprechung zu diesem Fragenkreis.
Feststellungsbescheide setzen nicht die spätere Steuer fest. Vielmehr werden durch diese Bescheide in einer ersten Stufe Besteuerungsgrundlagen festgestellt. Dies ist bspw. dann der Fall, wenn mehrere Personen an einer Einkunftsquelle beteiligt sind, z.B. bei einer GbR oder KG. Die Feststellung ist dann bindend für die folgenden Einkommensteuer—bzw. Körperschaftsteuerbescheide.
Beispiel: Der Gewerbetreibende U erklärt Besteuerungsgrundlagen, die zur Feststellung eines zu hohen vortragsfähigen Gewerbeverlusts führen. In dieser Feststellung liegt nach Ansicht des BGH die Erlangung eines ungerechtfertigten Steuervorteils i.S.d. § 370 Abs. 1 AO (vgl. BGH, Beschluss v. 12.7.2016 - 1 StR 132/16). Der BGH geht davon aus, dass Feststellungsbescheide einen Steuervorteil darstellen können. Denn er versteht den Begriff des Steuervorteils so, dass es sich um einen „Vorteil spezifisch steuerlicher Art“ handeln muss, der „auf dem Tätigwerden der Finanzbehörde beruht und eine hinreichend konkrete Gefährdung des Steueranspruchs bewirkt“. Auch der Umstand, dass der Täter sein angestrebtes Ziel einer Steuerverkürzung erst mit der zu niedrigen Festsetzung im Folgebescheid erreicht, stehe der Annahme eines Steuervorteils nicht entgegen. Der BGH begründet seine Ansicht damit, dass eine Besserstellung des Steuerpflichtigen nicht erst durch die tatsächliche Durchführung des Verlustabzugs, sondern bereits durch die Feststellung des Verlusts bewirkt wird.
Beispiel: Auch eine Verlustfeststellung gem. § 10d EStG ist nach der Rechtsprechung ein Hinterziehungserfolg (FG München, Urteil v. 23.2.2010 - 13 K 1694/07).
Stellungnahme von LHP: Diese Sichtweise ist nicht überzeugend, weil es insbesondere für Laien oft nicht sofort ersichtlich ist, welche steuerlichen Folgen bei der Einkommensteuer entstehen, solange nicht alle Besteuerungsgrundlagen als Parameter bekannt sind. Der Steuervorteil auf der Ebene des Grundlagenbescheides kann sehr unterschiedliche Auswirkung auf der Ebene des Folgebescheides haben (z.B. aufgrund der Progression).
Ein weiteres Beispiel macht die Gefahr deutlich, dass die Ansicht der Rechtsprechung zur Kriminalisierung von Verhalten führt, welches im Einzelfall zu keinem fiskalischen Schaden führen kann und damit der Schutzzweck des § 370 AO nicht betroffen ist:
Beispiel: Steuerpflichtiger S macht zu Unrecht Verlustvorträge geltend, die er wohl niemals nutzen kann bzw. wird. Wird hier auf die Feststellung des Verlustes als Taterfolg abgestellt, würde S wegen einer abstrakten Gefahr – die sich kaum realisieren wird – bestraft (Vgl. auch Heuel, AO-StB 2013, 130.).
Ob ein Versuch der Hinterziehung vorliegt, kann hier unter zwei verschiedenen Aspekten geprüft werden: Bezugspunkt für die Prüfung der Versuchsstrafbarkeit kann sowohl die Ebene des Grundlagen- als auch des Folgebescheides (Einkommensteuer) sein. Weiterhin stellt sich die Frage, ob bereits durch ein Unterlassen oder positiven Tun auf der Ebene des Grundlagenbescheides (Feststellungserklärung) ein Versuchsbeginn auf der Ebene des Folgebescheides in Betracht kommt. Beispiel: G gibt eine unzutreffende Feststellungserklärung für die Einkünfte einer GbR ab. Ist dies eine versuchte Hinterziehung betreffend die Einkommensteuer auf der Festsetzungsebene? Eine zutreffende Einkommensteuererklärung kann ggf. ein strafbefreiender Rücktritt sein (§ 24 StGB).
Nach wohl herrschender Ansicht können zwei Taterfolge eintreten: Die Steuervorteilserlangung gem. § 370 Abs. 4 Satz 2 1. HS AO mit Bekanntgabe des Grundlagenbescheides und die Steuerverkürzung gem. § 370 Abs. 4 Satz 1 1. HS AO mit Bekanntgabe des unzutreffenden Folgebescheides (Einkommensteuer). Aus Verteidigersicht kann insofern aber angeführt werden, dass die Bindungswirkung des Grundlagenbescheides bewirkt, dass der Folgebescheid nur noch eine rechtlich zwangsläufige Folge des Grundlagenbescheides ist. Zumindest eine separate Einkommensteuererklärung hat daher keine eigene Bedeutung (die Rechtsprechung sieht dies zur Zeit jedoch anders). Auch ohne Einkommensteuererklärung kann ein weiterer Taterfolg (zu niedrige Einkommensteuer-Festsetzung) eintreten. Die BGH-Sichtweise hat insbesondere auch für den Beginn der strafrechtlichen Verjährung Bedeutung: Der BGH geht davon aus, dass die Tatbeendigung nicht schon mit Bekanntgabe des Grundlagenbescheides, sondern erst mit der des Folgebescheides eintrete und somit die strafrechtliche Verjährung erst dann beginne. Beispiel: Diese BGH-Ansicht führt bei mehreren Feststellungsbeteiligten (z.B. Publikumsgesellschaften wie GmbH & Co. KG) dazu, dass die Verjährung erst mit der Bekanntgabe des Folgebescheides (Einkommensteuerbescheid) an den letzten Feststellungsbeteiligten (Kommanditisten) beginnt.
Stellungnahme von LHP: Die BGH-Rechtsprechung führt zu einer Vorverlagerung der Tatvollendung, ohne dass sich eine entsprechende frühere Tatbeendigung ergibt. Es kann hierdurch im Einzelfall eine erhebliche Rechtsunsicherheit bestehen, da es eher vom Zufall abhängt, wann tatsächlich der letzte Folgebescheid nachweisbar bekanntgegeben wurde.
Erfolgt eine Anklage, so kann die Frage relevant werden, ob die Anklageschrift ihre Informations- und Umgrenzungsfunktion erfüllt, wenn Unklarheiten bestehen, ob die Anklage die Feststellungs- oder die Folgeebene (Einkommensteuer) betrifft.
Beispiel: In der Anklage wird dem Angeschuldigten vorgeworfen, er habe eine Hinterziehung gem. § 370 AO durch Abgabe einer unzutreffenden Feststellungserklärung begangen. Tatsächlich beging A die Hinterziehung durch Abgabe einer unzutreffenden Einkommensteuererklärung. Sind hier die Umgrenzungs- und Informationsfunktion erfüllt? Dies dürfte hier wohl der Fall sein. Im Beispiel informiert die Anklageschrift über das vorgeworfene Verhalten und den Taterfolg. Die sachliche Unrichtigkeit berührt nicht die Umgrenzungsfunktion. Auch dürfte die Informationsfunktion erfüllt sein.
Wenn ein rechtskräftiger gerichtlicher Freispruch hinsichtlich der Ebene der Einkommensteuer (Folgebescheid) erfolgt: Ist dann noch eine Anklage des X betreffend die Ebene des Grundlagenbescheides (Feststellungsbescheid) zulässig? Nach dem Grundsatz ne bis in idem ist eine doppelte Bestrafung unzulässig und umgekehrt eine erneute Anklage ebenso unzulässig. Entscheidend und nicht geklärt ist, ob Grundlage und Folgebescheid als eine prozessuale Tat zu werten sind. Dann würde Strafklageverbrauch auch hinsichtlich der anderen Ebene eintreten. Eine erneute Anklage wäre unzulässig.
Bei einem besonders schweren Fall gilt bekanntlich der erhöhte Strafrahmen gem. § 370 Abs. 3 Satz 1 AO. Der BGH hatte entschieden, dass ein großes Ausmaß der Hinterziehung stets ab einer Hinterziehung von 50.001 Euro vorliegt (BGH, Urt. v.27.10.2015 - 1 StR 373/15; hierzu Heuel/Beyer, NWB 2016, S. 616.). Der Feststellung und Bezifferung der Auswirkungen eines Steuervorteils (welcher auf der Ebene des Grundlagenbescheides ergangen ist) bedürfe es nach Ansicht des BGH für die die Anwendung des Regelbeispiels gem. § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO nicht. Er stellte fest, dass die Anwendung des Regelbeispiels anhand von Wertgrenzen, wie sie der BGH in anderen Fällen angenommen hat, grundsätzlich in Betracht komme. In der Praxis und Literatur ist dennoch bisher ungeklärt, wie bei einer Hinterziehung auf der Ebene des Grundlagenbescheides der Steuervorteil konkret zu bemessen ist.
Die Strafbarkeit wegen Steuerhinterziehung weist viele Fallstricke und Besonderheiten auf. Dies zeigt auch dieses Thema einmal mehr. Eine Beratung durch Steueranwälte ist spätestens nach der Einleitung eines Steuerstrafverfahrens hilfreich und verschafft mehr Klarheit. Im Einzelfall zeigt sich aber immer wieder, dass viele Rechtsfragen ungeklärt sind. Dies schafft allerdings auch Verteidigungspotential für den versierten Verteidiger, der sich eine Argumentation aufbauen kann.
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