Auch eine verspätete oder unterlassene Steuererklärung kann eine strafbare Hinterziehung sein. Besonders streitig wird im Moment folgender Fall behandelt: Ist das Unterlassen bzw. die verspätete Abgabe der Steuererklärung auch dann strafbar gem. § 370 AO wenn das Finanzamt bereits über alle erforderlichen Angaben verfügt?
Diese Frage stellt sich insbesondere im Hinblick auf die elektronischen Datenübermittlungen durch Dritte immer öfter, denn Finanzämtern liegen oftmals Daten von Versicherungen, Banken oder sonstigen Dritten wie z.B. Sozialversicherungsträgern vor. Da die Veranlagung immer mehr in elektronischer Weise erfolgt, wird in Zukunft öfters die Frage bestehen, ob und inwieweit überhaupt dem Finanzamt durch eine Steuererklärung noch „neue“ Daten mitgeteilt werden, die es nicht zuvor schon kennt. In diesem Zusammenhang ist die oben genannte aktuelle Rechtsprechung von besonderer Brisanz. Auch in dieser Frage sind die Gerichte – wie so oft - unterschiedlicher Ansicht.
Erfreulich klar hatte das OLG Köln mit Urteil vom 31.01.2017 festgestellt, dass eine strafbare Steuerhinterziehung durch Unterlassen ausscheidet, wenn dem Finanzamt alle maßgeblichen Informationen bereits vorliegen. Der Wortlaut des § 370 AO kann dann nicht erfüllt sein, denn dieser Wortlaut setzt voraus, dass das Finanzamt in Unkenntnis gelassen wird. Im oben genannten Fall ist dieser Wortlaut ersichtlich nicht erfüllt (Aktenzeichen: III 1 RVs 253/16). Angesichts des klaren Wortlautes des § 370 AO dürfte der „durchschnittliche“ Bürger denken, dass diese Vorschrift doch alles klar sei. Dies ist leider nicht der Fall, wie ein aktuelles Urteil des Landgerichts Aurich vom 08.11.2017 zeigt.
Das Landgericht Aurich geht leider über den Wortlaut des § 370 AO hinaus und interpretiert den Tatbestand der Steuerhinterziehung anders: Entscheidend sei, ob der Steuerpflichtige das Finanzamt in Unkenntnis lasse. Damit stellt das Landgericht Aurich darauf ab, ob der Steuerpflichtige die maßgeblichen Daten an das Finanzamt liefert. Nicht entscheidend sei, ob und welche Daten dem Finanzamt bereits vorliegen (Aktenzeichen:12 NS 310 Ja 8712/15).
Diese Interpretation des Tatbestandes der Steuerhinterziehung durch das Landgericht Aurich steht im Widerspruch zur überzeugenden Ansicht des OLG Köln (vgl. Urteil vom 31.01.2017 oben). Es ist nicht nachvollziehbar, wie ein Bürger das Finanzamt in Unkenntnis lassen soll, wenn diesem bereits die maßgeblichen Informationen vorliegen. Eine solche Wortlautauslegung verstößt gegen das Bestimmtheitsprinzip des Artikel 103 Abs. 1 Grundgesetz. Die Auslegung muss sich an der Grenze des Wortlautes orientieren und darf nicht nach dem Geschmack des Richters erfolgen.
Daher stellt sich auch die Frage, ob eine solche Auslegung, wie das Landgericht Aurich sie vorgenommen hat, gegen das Willkürverbot verstößt. Mandanten sollten allerdings wissen, dass sie sich nicht darauf verlassen können, dass der jeweilige Strafrichter die Ansicht des OLG Köln vertritt. Das aktuelle Urteil des Landgerichts Aurich zeigt die Gefahren, die mit einer verspäteten Steuererklärung zusammenhängen können. Es bleibt abzuwarten, ob sich in der Rechtsprechung das OLG Köln durchsetzt.
Der Vollständigkeit halber sei darauf hingewiesen, dass das Landgericht Aurich allerdings im Ergebnis zutreffend eine Unkenntnis des Finanzamtes annahm. Denn dem Finanzamt lagen (anders als dem OLG Köln) nicht sämtliche maßgeblichen Besteuerungsgrundlagen vor.
Die Verteidigung in Steuerstrafsachen ist oftmals mit Haken und Ösen verbunden und setzt eine fundierte Kenntnis der aktuellen Rechtsprechung und eine genaue Klärung des Sachverhalts voraus. Nur dann kann der Verteidiger die Besonderheiten des Einzelfalles herausarbeiten und bestmöglich den Mandanten verteidigen.
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