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Schätzung: Welche Fragen bestehen zur Richtsatzsammlung des BMF?

Der Bundesregierung wurden im Wege einer Kleinen Anfrage v. 27.8.2018 kritische Fragen zum Hintergrund der Richtsatzsammlung gestellt (BT-Drucks. 19/3987).

Das BMF hatte im Namen der Bundesregierung mit Schreiben v. 10.09.2018 geantwortet (BT-Drucks. 19/4238 v. 11.9.2018). Diese Antworten können die Anwendung der Richtsatzsammlung als Schätzungsinstrument nicht rechtfertigen. Vielmehr bestehen weiterhin erhebliche Zweifel daran, dass die Richtsatzsammlung eine repräsentative Datensammlung ist.

Die bestehenden Zweifel an der Richtsatzsammlung sprechen unserer Ansicht nach dagegen, dass diese Datensammlung eine geeignete Schätzgrundlage sein darf.

So bestehen z.B. folgende Kritikpunkte an der Richtsatzsammlung:

  1. Das BMF konnte in seinem Schreiben vom 10.09.2018 selbst nicht beantworten, wie viel Prozent der Betriebe der jeweiligen Branche bzw. Gewerbeklasse zur Ermittlung dieser Daten geprüft werden. Da der Prozentsatz jeweils unbekannt ist, kann nicht beurteilt werden, ob die Richtsatzsammlung repräsentativ ist.
  2. Auch die Frage, wie viele Richtsatzprüfungen zur Ermittlung der veröffentlichten Daten insgesamt pro Kalenderjahr durchgeführt werden, ist durch das BMF nicht überzeugend beantwortet worden. So ergibt sich aus der Antwort des BMF v. 10.09.2018 pro neu festgesetzter Gewerbeklasse im Durchschnitt eine Prüfungsanzahl von 240 bis 252 Prüfungen. Es bestehen erhebliche Zweifel, dass diese Anzahl, die für das gesamte Bundesgebiet gilt, überhaupt eine hinreichend aktualisierte Datenbasis darstellt. Auch müsste das BMF sich mit der Relation zur Gesamtzahl der Betriebe des jeweiligen Gewerbezweigs auseinandersetzen.
  3. Betriebe, bei denen im Zuge der Betriebsprüfungen ein negatives Betriebsergebnis festgestellt wurde, werden gemäß der Antwort des BMF v. 10.09.2018 nicht in die Richtsatzermittlungen einbezogen. Dies bedeutet, dass die Richtsätze zwangsläufig generell „nach oben“ verschoben sind.
  4. Weiterhin ergibt sich aus der Antwort des BMF v. 10.09.2018, dass die jährliche Richtsatzsammlung keine ausschließliche Sammlung aktueller Daten des betreffenden Jahres ist. Vielmehr werden alte Werte vergangener Jahre übernommen und erst nach einigen Jahren schrittweise erneuert. Die Richtsatzsammlung des Jahres X hat daher keinen automatischen Bezug zum Prüfungsjahr X. Bei einer Schätzung für einen Prüfungszeitraum muss die Schätzung richtigerweise die Daten berücksichtigen, die aus den betreffenden Streitjahren stammen. Daher ist die Information über das Herkunftsjahr entgegen der Ansicht des BMF entscheidend und müsste in der jeweiligen Richtsatzsammlung erkennbar sein. Tatsächlich ist dies nicht der Fall, so dass sich die Intransparenz verstärkt.
  5. Es ist zudem nicht nachvollziehbar, dass die Richtsatzsammlung regional repräsentativ ist. So bleibt bisher unklar, welche Finanzamtsbezirke überproportional Daten liefern und ob bestimmte Regionen in der Datensammlung somit sogar überrepräsentiert sind. Zudem bietet die Richtsatzsammlung auch selbst keine regionale Differenzierung. Das BMF müsste vielmehr darlegen, ob die statistischen Daten der Richtsatzsammlung für die jeweilige Region repräsentativ sind und darlegen, dass alle Finanzämter aller Regionen kontinuierlich Daten bereitstellen. Wenn bedacht wird, dass z. B. für bundesweite Meinungsumfragen eine Anzahl von Teilnehmern von mindestens 1000 Befragten vorausgesetzt wird, um ein einigermaßen repräsentatives Ergebnis zu erreichen (vgl. z. B. www.infratest-dimap.de), so wäre eine Zahlenbasis für steuerliche Vergleichswerte von wenigen Hundert oder gar nur ein paar Dutzend Betrieben mathematisch kaum repräsentativ. Aufgrund der einschneidenden Wirkung (finanzielle Existenzgefährdung) ist eine hinreichend große Zahlenbasis geboten. Hier besteht jedoch eine erhebliche Unsicherheit über die Quantität der Zahlenbasis, solange das BMF nicht auch diese offenlegt.
  6. Unklar ist auch, ob in die zahlenmäßige Datenbasis die jeweilige (überhöhte) anfängliche Schätzung nach einer Betriebsprüfung einfließt oder später eine Korrektur erfolgt, sobald ein Rechtsbehelf im Einspruchs- oder Klageverfahren zum Erfolg führt. Es ist nicht bekannt, ob und inwiefern das BMF rückwirkend und systematisch nachvollziehbar für die entsprechenden Jahre die Richtsatzsammlung anpasst.
  7. Problematisch ist auch, dass eine vorsorgliche Beratung durch Steuerberater zu beobachten ist: Zahlreiche Berater empfehlen ihren Mandaten, bei einer Erklärungsabgabe „innerhalb der Richtsatzwerte“ zu bleiben, also notfalls auch eine eigene Hinzuschätzung vorzunehmen. Dies führt dazu, dass die Erklärungen der betrieblichen Realität widersprechen und im Ergebnis die Richtsatzsammlung bestätigen. Dieser Zirkelschluss ist keine tragfähige Grundlage für eine Schätzung.

Die somit bestehenden Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Bescheide können im Einzelfall für einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung genutzt werden. Es bleibt abzuwarten, wie Finanzgerichte in entsprechenden Aussetzungsverfahren entscheiden. Schätzbescheide, die wesentlich auf der Richtsatzsammlung beruhen, können im Einzelfall durch Einspruch verfahrensrechtlich offengehalten werden bis ein Musterverfahren beim BFH entschieden worden ist.

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