Wann darf das Finanzamt bei einer fehlerhaften Buchführung Einnahmen und Umsätze eines Unternehmens schätzen? Und welche Methode darf dabei angewendet werden? Das Finanzgericht Hamburg hat entschieden, dass bei einer mangelhaften Buchhaltung eine Hinzuschätzung im Wege der sog. Quantilschätzung zulässig ist, wenn keine Einwendungen vorgetragen werden, die eine andere Schätzung begründen können.
Mit Urteil vom 18.07.2017 hat das Finanzgericht Hamburg (FG) entschieden, dass bei einer formell wie materiell mangelhaften Buchführung die Quantilschätzung grundsätzlich geeignet ist, um unter Heranziehung von betriebsinternen Daten eine Hinzuschätzung vorzunehmen.
Im aktuellen Fall führte das Finanzamt (FA) bei einem Unternehmen eine Betriebsprüfung über Gewerbesteuer, Körperschaftsteuer und Umsatzsteuer durch und stellte dabei fest, dass die vorgelegte Buchführung mangelhaft war. Daraufhin schätzte es die Besteuerungsgrundlage nach § 162 AO, nahm auf Grundlage der Quantilschätzung Hinzuschätzungen vor und erließ für die geprüften Jahre Änderungsbescheide.
Nach erfolglosem Einspruchsverfahren und abgewiesenem Antrag auf Aussetzung der Vollziehung beantragte das Unternehmen diese beim FG erneut und begehrte vorläufigen Rechtsschutz. Im Zuge dessen stellte das Unternehmen insbesondere die Methode des Zeitreihenvergleichs in Frage, da diese allein nicht geeignet sei, ein Mehrergebnis zu begründen. Den zulässigen Antrag wies das FG als unbegründet zurück, da keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Änderungsbescheide bestünden.
Grundsätzlich kann auch ohne Einreichung einer Klage der vorläufige Rechtsschutz beim zuständigen Finanzgericht angestrebt werden, solange noch die Möglichkeit des endgültigen Rechtsschutzes besteht, also die Klagefrist noch nicht abgelaufen ist. Das Finanzgericht kann dann die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsakts aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an dessen Rechtmäßigkeit bestehen und die Vollziehung für den Steuerpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.
Solche ernstlichen Zweifel bestehen jedoch nur, wenn bei einer summarischen Prüfung gewichtige Umstände zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung einer Rechtsfrage oder Unklarheit bei der Beurteilung von Tatfragen auslösen. Darüber hinaus sind die Erfolgsaussichten des Einzelfalls zu würdigen, wobei eine vage Erfolgsaussicht nicht ausreicht.
Soweit die Finanzbehörde die Besteuerungsgrundlagen nicht ermitteln oder berechnen kann, hat sie diese zu schätzen. Dabei ist insbesondere zu schätzen, wenn der Steuerpflichtige Bücher oder Aufzeichnungen, die er nach den Steuergesetzen führen muss, nicht vorlegen kann oder diese nicht der Besteuerung zugrunde gelegt werden können. Wenn eine formell ordnungsgemäße Buchführung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit sachlich unrichtig ist, kann diese ganz oder teilweise verworfen werden, wobei die Beweislast für steuererhöhende Tatsachen beim FA liegt.
Liegt jedoch nur eine formell unrichtige Buchführung vor und liegen keine Anzeichen für eine materiell unrichtige Buchführung vor, so ist zwar die Schätzungsbefugnis des FA eröffnet. Nach Ansicht des BFH lassen hier jedoch die Ergebnisse eines Zeitreihenvergleichs noch keinen sicheren Schluss auf das Vorliegen einer materiell unrichtigen Buchführung zu.
Steht allerdings im Einzelfall fest, dass die Buchführung materiell unrichtig ist und übersteigt dieser Fehler eine gewisse Bagatellgrenze, so können die Ergebnisse eines technisch korrekt durchgeführten Zeitreihenvergleichs für die Hinzuschätzung herangezogen werden, sofern sich im Einzelfall keine andere Schätzungsmethode aufdrängt, die bei vergleichbarem Aufwand zu genaueren Ergebnissen führt.
Bei der Quantilschätzung wird aus den betriebseigenen Daten des Steuerpflichtigen eine „normale“ Spannbreite herausgelesen. Unter Anwendung der Standardabweichung wird das Quantil zwischen 16 % und 84 % als „Normalbereich“ angesehen. Bei der Quantilschätzung wird noch etwas zurückhaltender der Regelgeschäftsbereich als Spanne zwischen 20 % und 80 % der betriebseigenen Werte zum monatlichen Aufschlagssatz oder Wareneinsatz definiert.
Eine solche Schätzung ist erst dann rechtswidrig, wenn sie den durch die Umstände des Falls gezogenen Schätzungsrahmen verlässt. Verletzt der Steuerpflichtige jedoch seine Mitwirkungspflichten, kann sich das FA an der oberen Grenze des Schätzungsrahmens orientieren, weil der Steuerpflichtige möglicherweise Einkünfte verheimlicht.
Das FG hat mit diesem Urteil zu einer sehr praxisrelevanten Frage Stellung genommen, die für Steuerpflichtige erhebliche Auswirkungen haben kann. Denn wurde die Buchführung materiell fehlerhaft geführt; so nehmen die Hinzuschätzungen des FA häufig existenzbedrohende Ausmaße an. Zur Entkräftung der teilweise utopischen Schätzungen sollten Steuerpflichtige konkret darlegen, welche Schätzungsmethode zu genaueren und angemesseneren Ergebnissen führt.
FG Hamburg, Beschl. v. 18.07.2017 - 6 V 119/17
Der Artikel wurde zuerst veröffentlicht von Steuerberater und Dipl.-Volkswirt Volker Küpper auf deubner-steuern.de, Copyright 2017 Deubner Verlag GmbH & Co. KG
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