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Schätzung: Richtsatzsammlung im Steuerstrafverfahren

Im Einzelfall drohen bekanntlich auch Schätzungen in Steuerstrafverfahren. Allerdings gelten im Strafverfahren andere Beweisgrundsätze, so dass Schätzungen aus dem steuerlichen Verfahren nicht blind übernommen werden dürfen.

Vielmehr müssen die Hinzuschätzungen nach Überzeugung des Strafrichters feststehen und dies muss sich dann aus dem Strafurteil ergeben (sog. Mindestschuld, BGH, Beschluss v. 6.4.2016 - 1 StR 523/15 mit Besprechung durch Rechtsanwalt Dirk Beyer, NWZiSt 2016 S. 354.). Der BGH hat seine bisherige Rechtsprechung zur Schätzung in Strafverfahren mit Urteil v. 10.7.2019 konkretisiert und im Wesentlichen bestätigt (BGH, Urteil v. 10.7.2019 - 1 StR 265/18 mit Besprechung durch Beyer, Schätzungen im Steuerstrafverfahren, NWB 12/2020 S. 825). 

Weiterhin hat er in diesem Urteil die mehrfach vorgetragene Kritik in der Literatur an der BMF-Richtsatzsammlung nicht genauer aufgegriffen (vgl. zur Literaturkritik an der Richtsatzsammlung z.B. Beyer, Kritische Fragen zur Richtsatzsammlung als Schätzungsbasis, NWB 44/2018 S. 3232). Im Ergebnis hat der BGH damit die Anwendbarkeit der Richtsatzsammlung auch im Strafverfahren bejaht und damit zementiert. Diese Feststellung wird für die Praxis oft zählen, auch wenn der BGH im Urteil vom 10.7.2019 in einem Nebensatz den Hinweis gab, dass es sich um ein „pauschales Schätzverfahren“ und eine nur „bundesweite“ Datenbasis handelt.

Dies bedeutet für die Praxis, dass regionale Besonderheiten berücksichtigt werden müssen. Die Behördenpraxis wird der Kritik an der Richtsatzsammlung wie bisher oft durch pauschale Abschläge begegnen. Aufgrund der anhaltenden Kritik an der Richtsatzsammlung durch Angehörige steuerberatender Berufe und nicht zuletzt aufgrund der negativen wirtschaftlichen Auswirkungen der sog. Corona-Maßnahmen sah es das BMF als sinnvoll an, die Richtsatzsammlung durch ein Schreiben zu kommentieren (Begleitschreiben zur Anwendung der Richtsatzsammlung in Krisensituationen (BMF, Schreiben vom 28.11.2022 – IV A 8 – S 1544/19/10001 :006). Das BMF weist in diesem "Beipackzettel" insbesondere darauf hin:

„Unabdingbar ist daher, bei der Anwendung der Richtsätze stets auf die individuellen Verhältnisse der einzelnen zu prüfenden Betriebe einzugehen und diese zu berücksichtigen. […] In wirtschaftlichen Krisenzeiten (zum Beispiel aufgrund einer Pandemie oder eines Krieges), welche sowohl negative als auch positive Auswirkungen auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit von vielen oder einzelnen Betrieben haben können, ist es unabdingbar, diesen Grundsatz der individuellen Betrachtung der Steuerpflichtigen in besonderem Maße zu beachten. […] Somit ist im jeweiligen Einzelfall zu prüfen, ob und in welchem Umfang bei der Anwendung der Richtsätze Anpassungen vorzunehmen sind. […] Vor diesem Hintergrund gilt es aufgrund der wirtschaftlichen Auswirkungen der aktuellen politischen und gesellschaftlichen Entwicklung (zum Beispiel Corona-Pandemie, Krieg in der Ukraine), wie bisher auf einen sensiblen Umgang mit der Richtsatzsammlung gegenüber den Steuerpflichtigen zu achten.“ (BMF, a.a.O.).

Begrüßenswert ist, dass das BMF auf die gebotene Einzelfallbetrachtung und die notwendige Sensibilität im Umgang mit der Richtsatzsammlung hinweist. Dies gilt selbstverständlich auch für alle früheren Prüfungsjahre. Aktuell hat der BFH in einem Revisionsverfahren deutlich gemacht, die Richtsatzsammlung kritisch zu hinterfragen. Das Revisionsverfahren ist allerdings noch ergebnisoffen (vgl. Rechtsanwalt Dirk Beyer, NWB 10/2023). Der BGH und die Strafsachenstellen der Finanzämter werden dieses künftige Revisionsurteil mit Interesse beobachten.

Die Steueranwälte von LHP nutzen die aktuelle Rechtsprechung und Literatur für die Abwehr unberechtigter Schätzungen in Besteuerungs- und Steuerstrafverfahren. Diese Abwehr sollte im Einzelfall besprochen werden.

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