In der Praxis der Betriebsprüfung weisen wir in Schätzungsfällen auf die Schwächen der Richtsatzsammlung hin. Denn deren Anwendbarkeit ist fraglich, solange nicht im jeweiligen Einzelfall durch den Prüfer offengelegt wird, ob die statistischen Daten der Richtsatzsammlung für den konkreten Betrieb und die jeweilige Region repräsentativ sind.
Dies würde u. a. voraussetzen, dass alle Finanzamtsbezirke aller Bundesländer anteilig und in einem zutreffenden Verhältnis beständig für alle Besteuerungszeiträume zuverlässige Daten zur Verfügung stellen, die dann durch das BMF gebündelt werden. Kritisch zu sehen ist auch, dass die Daten aus teilweise länger zurückliegenden Betriebsprüfungen gewonnen werden. Auch in Branchen mit sehr zahlreichen Betrieben gründet sich die BMF-Statistik auf eine verhältnismäßig geringe Anzahl.
Hinweis von LHP aus Köln: Wenn bedacht wird, dass z.B. für bundesweite Meinungsumfragen eine Anzahl von Teilnehmern von mindestens 1000 Befragten vorausgesetzt wird, um ein einigermaßen repräsentatives Ergebnis zu erreichen, so ist eine Zahlenbasis von wenigen Hundert Betrieben mathematisch kaum repräsentativ.
Weiterhin ist die Auswahl nicht vollständig neutral, sondern auch interessengeleitet, da die Betriebsprüfung die Betriebe zu einem großen Teil auswählt. Eine überzeugende Datenbasis sieht anders aus.
Diese Bedenken gelten insbesondere auch für ein etwaiges Steuerstrafverfahren. Die Richtsatzsammlung wird durch das BMF jedoch nicht für strafrechtliche Ermittlungen geführt, so dass es bereits im Ansatz fraglich ist, warum diese ohne mehr Transparenz strafrechtlichen Anforderungen genügen soll.
Hinweis der Steueranwälte von LHP: Schätzungen aufgrund der Richtsatzsammlung können mit der Darlegung von betrieblichen Besonderheiten erschüttert werden. In der Literatur wird zutreffend ausgeführt, dass ein äußerer Betriebsvergleich i. d. R. allein nicht genügt.
Ist die Richtsatzsammlung im Steuerstrafverfahren anwendbar?
Im Steuerstrafverfahren ist die Bedeutung der Richtsatzsammlung geringer. Die Rechtsprechung hat zwar anerkannt, dass eine strafrechtliche Schätzung im Einzelfall unter Umständen auch auf die amtliche Richtsatzsammlung gestützt werden darf (vgl. BGH, Urteil v. 20.12.2016, Aktenzeichen: 1 StR 505/16 ). Der Rückgriff auf diese pauschalen Werte ist jedoch nur zulässig, wenn keine Tatsachenbasis für eine Schätzung vorhanden ist. Wenn die Richtsatzsammlung durch den Strafrichter angewandt wird, muss er den Ansatz des Werts im Strafverfahren im Einzelfall besonders begründen (BGH, Urteil v. 20.12.2016). Diese Begründungspflicht besteht auch bei Wahl des Mittelwerts. Hier kommt somit wieder die Regel zum Tragen, dass der Strafrichter seine eigene Überzeugung bilden und darlegen muss.
Beispiel (nach BGH): Das Finanzamt hat bei dem Restaurantbetrieb des U den Mittelwert der Richtsatzsammlung für das Jahr 2013 angesetzt. Der Strafrichter übernimmt die Schätzung des Finanzamts ohne weitere Begründung, obwohl U im Strafverfahren betriebliche Umstände geltend macht, die für eine niedrigere Schätzung sprechen. Der BGH beanstandete im Strafverfahren, dass der Richter den Ansatz des Mittelwerts der Rohgewinnaufschlagsätze ohne weitere Begründung vornahm (BGH, Urteil v. 20.12.2016 - 1 StR 505/16).
2 wichtige Voraussetzungen:
Zusammenfassend ergibt sich, dass der Strafrichter die Richtsatzsammlung nur unter zwei Voraussetzungen anwenden darf:
Hinweis der Steueranwälte von LHP: Der Strafrichter darf somit nicht „hilfsweise“ den Mittelwert ansetzen, wenn er hinsichtlich des Schadensumfangs unsicher ist. Vielmehr muss er einen als erwiesen angesehenen Mindestschuldumfang feststellen. Hierzu muss er darlegen, aufgrund welcher Anknüpfungstatsachen er von der jeweiligen Schadenshöhe überzeugt ist.
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