Es gibt verschiedene Schätzmethoden, die von der Betriebsprüfung in den sog. Bargeldbranchen (Gastronomie, Friseure, Einzelhandel, Taxiunternehmen etc.) angewandt werden. In letzter Zeit hat sich die Rechtsprechung vermehrt zu der sog. 30/70-Methode geäußert.
Diese weist viele Fallstricke auf und unsere Steueranwälte stellen in der Praxis immer wieder fest, dass sich hier methodische oder tatsächliche Fehler bei der Schätzung ergeben. Diese sollten dann in einem Gespräch mit der Betriebsprüfung ausgeräumt werden. Selbstverständlich setzt jegliche Schätzung aber voraus, dass überhaupt geschätzt werden darf. Dies ist eine andere Frage, die an anderer Stelle besprochen wird.
Hinweis: Unser Rechtsanwalt Dirk Beyer gibt in der Fachzeitschrift NWB demnächst Praxishinweise bei Schätzungen nach der 30/70-Methode. Gastronomen sollten die Grundlagen diese Methode kennen, um sich zusammen mit ihrem Steuerberater/Steueranwalt gegen unberechtigte Schätzungen wehren zu können.
Die sog. 30/70-Methode ist eine Ausbeutekalkulation, die auf dem Getränkewareneinsatz beruht. Bei einer Ausbeutekalkulation wird der Sollumsatz rechnerisch aus Wareneinsatzmengen und deren Verkaufspreisen hergeleitet. Die 30/70-Methode beruht auf dem Gedanken, dass in einem Speiserestaurant das Verhältnis zwischen verzehrten Speisen und Getränken nur geringen Schwankungen unterliegt, da die Gäste typischerweise im Durchschnitt zu jeder Speise eine bestimmte Menge an Getränken kaufen. Dieser Zusammenhang rechtfertigt es, aus der Höhe der kalkulierten Getränkeumsätze auf die Höhe der Speiseumsätze zu schließen (BFH-Beschluss vom 11.1.2017, X B 104/16, ###NWB Datenbank). Die Rechtsprechung sieht die 30/70-Methode als eine anerkannte Methode der Prüferpraxis an, da sie auf betriebsinternen Daten aufbaut (BFH-Beschluss vom 11.1.2017, a.a.O.). Auch nach hier vertretener Ansicht ist die sog. 30/70-Methode als Methode logisch nachvollziehbar und damit geeignet zur Verprobung und Schätzung. Dies bedeutet nicht, dass jedes Ergebnis kritiklos hinzunehmen ist. Es bestehen im Einzelfall wichtige – oft umstrittene - Stellschrauben, wie im Folgenden noch erläutert wird.
Hinweis: Die sog. 30/70-Methode bedeutet für Betriebsprüfungsstellen eine erhebliche Schätzungserleichterung, weil sie bei Anwendung dieser Methode die Speisen ihrerseits nicht gesondert kalkulieren müssen. Zahlreiche oft von Gastronomen vorgebrachte Argumente, wie z.B. die Berücksichtigung von Rezepturen für Speisen, des Gewichts der eingesetzten Fleischportionen etc. werden dann in der Schätzung von vorneherein nicht berücksichtigt und der Prüfer geht diesbezüglichen Diskussionen aus dem Weg.
Die für diese Methode heranzuziehenden betriebsinterne Daten sind der Getränkewareneinsatz und die Getränkeverkaufspreise gemäß Speisekarte.
Hinweis: Hier zeigt sich bereits die erste Schwierigkeit, die auch dieser Methode anhaftet: Sowohl die Höhe der tatsächlichen Getränkemenge, die in den Wareneinsatz kam und auch die tatsächlichen Verkaufspreise können oft nicht zutreffend für die Prüfungsjahre ermittelt werden.
Der tatsächliche Wareneinsatz ist oft streitig zwischen Finanzamt und Gastronom. Er hängt von häufig nicht mehr genau greifbaren Umständen ab, die also ihrerseits dann geschätzt werden müssen. Vom Wareneinkauf (Getränke) sind – je nach Getränkeart - Schwund und Eigenverbrauch abzuziehen (z.B. Schankverlust, unbrauchbares Bier in der Bierleitung, sog. Feierabendbier für Mitarbeiter und Inhaber, fehlerhafte Lieferscheine usw.). Nicht selten wirtschaften manche Kellner auch in die eigene Tasche. Nach hier vertretener Ansicht können Umsätze, die dem Gastronomen durch deliktische Vorgehensweisen seiner Mitarbeiter entgehen (z.B. Vereinnahmung durch den Kellner in die eigene Tasche), steuerlich nicht zugerechnet werden.
Auch die Verkaufspreise sind oft streitig, wenn der Gastronom die Speisekarten nicht aufbewahrt hat.
Wenn die Außerhausverkäufe des Gastronomen (Lieferservice) einen nicht unerheblichen Anteil am Gesamtumsatz ausmachen, können aus der Getränkekalkulation über die 30/70-Methode keine unmittelbaren Schlussfolgerungen für die Außerhausumsätze gezogen werden (FG Münster, Urteil vom 4.12.2015, 4 K 2616/14, ). Es besteht kein Zusammenhang zwischen dem gesamten Getränkeumsatz und den Außerhausverkäufen.
Betriebsprüfungsstellen verstehen die Verteilung 30 zu 70 oft als eine starre Regelung. Dann stellt sich jedoch die Frage: Welche repräsentativen und nachprüfbaren Erfahrungswerte können die Betriebsprüfungsstellen hierfür darlegen? Wie die Beratungspraxis in Schätzungsfällen zeigt, lässt sich in der Regel nur eine prozessuale Wahrheit, nicht jedoch die reale Wahrheit ermitteln (diese kennt weder das Finanzamt noch der Berater). Es fällt daher schwer nachzuvollziehen, dass die Betriebsprüfungsstellen über repräsentative Erfahrungswerte über tatsächlich erzielte Umsätze von Prüfbetrieben verfügen sollen, die ein starres Verhältnis von 30 zu 70 belegen. Solche empirischen Daten sind bisher auch nicht offengelegt worden, so dass sich Berater hierzu auch nicht äußern können. Vielmehr sind auch die zahlreichen Ermittlungsergebnisse der Betriebsprüfungsstellen bloße Schätzergebnisse, die der realen Wahrheit nur möglichst nahe kommen sollen (prozessuale Wahrheit).
Eine Schätzung muss nach der Rechtsprechung des BFH jedoch soweit wie möglich betriebsbezogen erfolgen (BFH-Urteil vom 25.3.2015, X R 20/13, ###NWB Datenbank). Die 30/70-Methode kann daher nach hier vertretener Ansicht auch nur betriebsbezogen verstanden werden, d.h. das Verhältnis zwischen Getränken und Speisen ist nach den betrieblichen Umständen der jeweiligen Prüfungsjahre zu ermitteln (so auch FG Düsseldorf, Urteil vom 20.3.2008, 16 K 4689/06, EFG 2008, 1256, Rz. 59 ).
Beispiel: Aus den täglichen Kassenberichten für das Prüfungsjahr 2016 ergibt sich ein Verhältnis von 38 zu 62. Dann ist eine Hochrechnung auf die Speiseumsätze im Verhältnis 38/62 und nicht 30/70 vorzunehmen.
Hinweis: Dieses zahlenmäßige Verhältnis ist der Knackpunkt. Hier kann sich durch eine Verschiebung von wenigen Prozentpunkten zwischen Getränken und Speisen eine erhebliche Hebelwirkung ergeben.
Weiterhin ist im Einzelfall oft streitig, ob die 30/70-Methode erlaubt, die Ermittlung des Verhältnisses von Getränken zu Speisen für einen bestimmten Zeitraum vorzunehmen und dieses zahlenmäßige Verhältnis auf den übrigen Prüfungszeitraum zu übertragen. Die Rechtsprechung bejaht diese Frage für den Fall, dass keine betrieblichen Besonderheiten für die anderen Prüfungszeiträume erkennbar sind, die zu einem abweichenden Verhältnis führen (FG Niedersachsen, Urteil vom 10.5.2016, 8 K 175/15, ).
Hinweis: Der Gastronom sollte somit substantiiert Tatsachen vortragen, wenn das zahlenmäßige Verhältnis für die anderen Zeiträume für ihn günstiger ausfällt. Hier sind z.B. saisonale Schwankungen, betriebliche Änderungen und besondere Events in einzelnen Jahren zu berücksichtigen.
Unsere Steueranwälte empfehlen, die Schätzung des Betriebsprüfers von Anfang an kritisch zu begleiten, damit sich nicht falsche Annahmen verfestigen. Spätestens in der Schlussbesprechung mit der Betriebsprüfung sollte die Schätzung bei Bedarf methodisch und inhaltlich diskutiert werden. Ist keine Einigung erzielbar, bleibt die Möglichkeit des Einspruchs gegen die Schätzbescheide.
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