Für die Geltendmachung und Durchsetzung der Ansprüche einer Gesellschaft sind grundsätzlich allein deren vertretungsberechtigte Organe (Geschäftsführer, Vorstand) berufen. Allerdings kann es Situationen geben, in denen auch ein nicht zur Vertretung berufener Gesellschafter die Möglichkeit haben muss, Ansprüche der Gesellschaft geltend zu machen. Ein Bedürfnis hierfür kann zuweilen etwa bestehen, wenn der klagende Gesellschafter damit rechnen muss, dass der zur Vertretung der Gesellschaft berufene Geschäftsführer deren Ansprüche nicht mit der entsprechenden Ernsthaftigkeit verfolgen wird. Unterlässt es also beispielsweise das vertretungsberechtigte Organ entgegen jedweder wirtschaftlichen Vernunft, einen Schadensersatzanspruch der Gesellschaft geltend zu machen, oder verstößt das Organ fortlaufend zulasten der Gesellschaft gegen ein bestehendes Wettbewerbsverbot, so muss es dem nicht vertretungsberechtigten Gesellschafter freistehen, die Verfolgung der Gesellschaftsinteressen in die eigene Hand zu nehmen.
In solchen Fällen kann das Rechtsinstitut der sog. actio pro socio weiterhelfen. Hierhinter verbirgt sich ein prozessrechtliches Instrument eines Gesellschafters, das es ihm ermöglicht, einen aus dem Gesellschaftsvertrag resultierenden Zahlungs- oder Schadenersatzanspruch der Gesellschaft gegen einen Mitgesellschafter im eigenen Namen geltend zu machen.
Die grundsätzliche Zulässigkeit der actio pro socio wird heute kaum mehr in Zweifel gezogen. Allerdings beinhaltet das Thema eine Reihe ungeklärter Rechtsfragen, die seit jeher Anlass für kontroverse Diskussionen bieten. Zu nennen ist in dem Zusammenhang etwa die Frage, auf welche dogmatische Rechtsgrundlage sich das beschriebene Rechtsinstitut eigentlich stützen kann. Vor allem in praktischer Hinsicht überaus bedeutsam ist die Frage, ob die von einem Gesellschafter erhobene Klage lediglich subsidiär eingreift, sodass ihre Geltendmachung unter dem Vorbehalt einer besonderen Rechtfertigung steht, oder ob sie grundsätzlich gleichrangig neben der Klagebefugnis des Geschäftsführers steht. Dies wird in Rechtsprechung und juristischem Schrifttum unterschiedlich beurteilt und ist bislang nicht abschließend geklärt.
Insbesondere die Literatur spricht sich mit dem Verweis auf eine angebliche Subsidiarität der actio pro socio überwiegend gegen eine entsprechende Zulässigkeit aus. Der klagebereite Gesellschafter habe bei Untätigkeit des vertretungsberechtigten Organs vorrangig etwaige gesellschaftsinterne Einwirkungsmöglichkeiten (z.B. die Herbeiführung eines Gesellschafterbeschlusses) auszuschöpfen. Dagegen begrenzte die Rechtsprechung (vgl. BGH; Beschl. v. 26.4.2010 – II ZR 69/09) die Anwendbarkeit des Rechtsinstituts zuweilen lediglich unter Hinweis auf eine gesellschaftsrechtliche Treuepflicht, wonach sich die Ausübung der Klagebefugnis u.U. als rechtsmissbräuchlich darstellen könne.
Mit Urteil vom 23.3.2017 hat das OLG Köln (Az. 18 U 72/16, n. v.) die bisherige Rechtsprechung des BGH ausdrücklich fortgeführt. Damit widerspricht es nicht nur der herrschenden Auffassung im Schrifttum, sondern auch der in dem Rechtstreit mit der Frage befassten Vorinstanz (LG Köln, Urt. v. 7.4.2016 – 86 O 144/15, n. v.).
Wie das OLG Köln im Rahmen der Urteilbegründung überzeugend verdeutlicht, würde eine andere Beurteilung dem berechtigten Interesse der klägerischen Partei auf Rechtssicherheit nicht in ausreichendem Maße Rechnung tragen. Denn wäre dem einzelnen Gesellschafter die eigenmächtige Klageerhebung für die Gesellschaft verwehrt, so müsste er sich – ohne eigene Einflussmöglichkeiten – auf den für ihn ungewissen Ausgang des von der Gesellschaft geführten Rechtstreits einlassen. Zudem wären ihm dann die Hände gebunden, erforderlichenfalls geeignete Maßnahmen zur Verhinderung einer drohenden Anspruchsverjährung zu treffen.
Fazit: Das Urteil verhilft dem nicht vertretungsberechtigten Gesellschafter zu effektivem Rechtsschutz. Das Urteil des OLG Köln trägt die Kernaussage in sich, dass sich eine generelle Nachrangigkeit der actio pro socio gegenüber der Gesellschaftsklage nicht begründen lässt.
Hinweis von LHP: Aus unserer Sicht verdient das Urteil des OLG Köln Beifall. Eine andere Beurteilung würde dem berechtigten Interesse rechtsuchender Gesellschafter nicht ausreichend Rechnung tragen. Allerdings ist hinsichtlich der Rechtsfrage das letzte Wort noch nicht gesprochen, sodass sich demnächst der BGH mit der Rechtsfrage zu befassen hat. Zwar hatte das OLG Köln die Revision in der zugrundeliegenden Sache ursprünglich nicht zugelassen, jedoch konnte sich die Beklagtenseite hiergegen erfolgreich mit einer Nichtzulassungsbeschwerde erwehren. Es ist zu erwarten, dass der BGH die Auffassung des OLG Köln in letzter Instanz bestätigten wird.
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