Steuerhinterziehung: Erleichterte Feststellungsanforderungen für die Vorsteuer
Die Vorsteuer ist im Strafrecht unter erleichterten Voraussetzungen zugunsten des Beschuldigten zu schätzen. Insofern dürfen keine hohen Anforderungen gestellt werden. Insbesondere genügt es, wenn jedenfalls nicht auszuschließen ist, dass der Unternehmer im Besitz einer Rechnung war und Anhaltspunkte für den Vorsteueranspruch bestanden (ohne dass dieser zweifelsfrei bewiesen sein muss). Die Rechtsprechung hierzu ist nicht einheitlich. Nach einer Literaturansicht muss eine Schätzung der Vorsteuer im Strafverfahren auch dann erfolgen, wenn nicht festgestellt werden kann, dass die Eingangsrechnung jedenfalls früher existierte (Rechtsanwalt Dirk Beyer, Fachzeitschrift BBK - NWB Verlag - 2017, 420). Nach traditioneller Ansicht ist die ordnungsgemäße Rechnung eine materielle Voraussetzung für den Vorsteueranspruch, so dass sich der Prüfer auf diese Rechtsprechung berufen wird. Allerdings könnten die Voraussetzungen für eine Schätzung der Vorsteuer gemäß § 162 AO gegeben sein, weil die Vorsteuer eine Besteuerungsgrundlage im Sinne dieser Norm ist und der EuGH eine ordnungsmäßige Rechnung nur als formelle Voraussetzung ansieht. Der EuGH geht in seinem Urteil in der Rechtssache „Senatex“ davon aus, dass der Besitz einer ordnungsgemäßen Rechnung, die die Anforderungen des § 14 Abs. 4 UStG erfüllt, nur eine formelle Voraussetzung zur Geltendmachung des Vorsteueranspruchs, jedoch keine materielle Voraussetzung für die Entstehung dieses Anspruchs ist.
Hinweis von LHP: Hierdurch kann sich ein Rettungsanker aus der jüngsten EuGH-Rechtsprechung ergeben (vgl. Rechtsanwalt Dirk Beyer, BBK - NWB Verlag - 2017, 420). Verteidiger werden sich auf diese neue Sichtweise berufen, so dass auch im Rahmen der Schätzung die Vorsteuer unter erleichterten Voraussetzungen anzusetzen ist, auch wenn keine oder jedenfalls keine ordnungsgemäße Eingangsrechnung vorliegt. Der BFH sieht eine Rechnung dennoch als materielle Ausübungsvoraussetzung für den Vorsteueranspruch. Diese Rechtsprechung und die Norm des § 15 UStG könnten jedoch vor dem Hintergrund der EuGH-Rechtsprechung europarechtswidrig sein.
Stets zu beachten ist aber auch das Kompensationsverbot. Eine Saldierung zwischen Umsatzsteuer und Vorsteuer ist im Strafverfahren nach Ansicht der bisherigen Rechtsprechung ausgeschlossen (vgl. zu Praxisfällen des Kompensationsverbots Rechtsanwalt Dirk Beyer, NWB 2016, 420).
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