Eine Anfrage des XI. Senats des Bundesgerichtshofs vom 29. 7. 2009 (Az. XI B 24/09) lief darauf hinaus, die Steuerbefreiung einer innergemeinschaftlichen Lieferung innerhalb der europäischen Gemeinschaft zu versagen, wenn die geschäftliche Transaktion eine Steuerhinterziehung zum Ziel hat und die Umsatzsteuer in solchen Fällen "strafhalber" zu erheben. Durch sein Urteil vom 7. Dezember 2010 in der "Rechtssache R." bestätigte der EuGH die deutsche Rechtsauffassung - mit den entsprechenden juristischen Konsequenzen für Steuerangelegenheiten innerhalb der EU.
"Rechtssache R." - Rechnungsmanipulation und falsche Angaben für das Finanzamt
Der in Deutschland ansässige portugiesische Staatsbürger R. verkaufte als selbstständiger Unternehmer Kraftfahrzeuge von Deutschland an portugiesische Händler. Dabei verschleierte er zum Zweck der Steuerhinterziehung durch auf Scheinkäufer ausgestellte fingierte Rechnungen aktiv die Identität seiner Handelspartner. Parallel dazu übermittelte er im Rahmen von "Zusammenfassenden Meldungen" falsche Informationen an die deutschen Steuerbehörden. Mit den Aktionen wollte R. verhindern, dass das europäische Mehrwertsteuer-System die realen Käufer ermitteln konnte. Seine Geschäftspartner verkauften die Fahrzeuge in Portugal an private Kunden ohne Meldung des "innergemeinschaftlichen Erwerbs" an die dortigen Finanzbehörden und ohne Versteuerung des inländischen Verkaufs. R. konnte seine Fahrzeuge so zu günstigeren Preisen und mit höheren Gewinnen verkaufen, gleichzeitig profitierte er von der Umsatzsteuerbefreiung für Warenlieferungen innerhalb der Europäischen Gemeinschaft.
Steuerhinterziehung rechtfertigt "strafhalber" erhobene Umsatzsteuer
Der EuGH entschied, dass in Fällen, in denen bei einer "innergemeinschaftlichen Lieferung von Gegenständen" die Identität des Empfängers durch den Lieferanten zum Zweck der Mehrwertsteuerhinterziehung verschleiert wird, der Ausgangsstaat das Recht hat, die Umsatzsteuerbefreiung für diese Lieferungen zu versagen.
R. hatte in seinem Verfahren argumentiert, dass die Umsatzsteuerbefreiung für seine geschäftlichen Transaktionen gelten müsse, da die Fahrzeuge unstreitig an gewerbliche Abnehmer in Portugal geliefert wurden und die deutsche Umsatzsteuer von der Sachlage zudem nicht betroffen sei. Die Steuerhinterziehung beträfe Portugal und sei im deutschen Kontext unerheblich.
Der EuGH stellte dagegen auf die strafrechtliche Verantwortung R.s in dieser Sache ab. Scheinrechnungen und falsche Angaben gegenüber den Finanzbehörden greifen in das gemeinsame europäische Mehrwertsteuer-System ein. Das EU-Recht ermögliche daher allen Mitgliedsstaaten, das Ausstellen falscher Rechnungen als Steuerhinterziehung zu bewerten und in solchen Fällen die Befreiung von der Umsatzsteuer zu versagen. Als Begründung führte das Gericht die abschreckende Wirkung der "strafhalber" erhobenen Umsatzsteuer an, die der Durchsetzung des nationalen Steuerrechts und der daraus resultierenden Pflichten diene. Alle Steuerpflichtigen, die sich vorsätzlich an einer Steuerhinterziehung oder Steuerverkürzung beteiligen und damit das Funktionieren des europäischen Mehrwertsteuer-Systems gefährden, könnten in dieser Frage weder die Grundsätze von Rechtssicherheit und Vertrauensschutz noch die "Neutralität der Mehrwertsteuer" geltend machen.
Im Zweifelsfall - juristische Vertretung durch einen Fachanwalt für Steuerrecht
Das Urteil des EuGH in der "Rechtssache R." hat die rechtlichen Voraussetzungen für die Umsatzsteuerbefreiung von innergemeinschaftlichen Warenlieferungen insgesamt verschärft. De facto hat das europäische Gericht hier zwar steuerrechtlich wenig überzeugend, jedoch ergebnisorientiert im Sinne der fiskalischen Interessen der EU-Länder entschieden. Die deutschen Finanzgerichte hatten diese Rechtsauffassung schon zuvor vertreten.
Hinweis vom Fachanwalt für Steuerrecht aus Köln:
In der Praxis ist damit zu rechnen, dass die Befreiung innergemeinschaftlicher Warenlieferungen von der Umsatzsteuer in Zukunft noch stärker als bisher im Rahmen von Umsatzsteuer-Sonderprüfungen und entsprechend der Interessenlage des Fiskus kontrolliert wird. Schwierig wird es für Mandanten künftig immer dann, wenn ehrliche Lieferanten betrügerischen Partnern aufgesessen und als Folge selbst mit dem Vorwurf der Steuerhinterziehung konfrontiert sind. Gutglaubensschutz wurde von deutschen Gerichten und Finanzbehörden in solchen Fällen schon vor dem EuGH-Urteil eher zurückhaltend gewährt. Einzelne Finanzrichter vertreten allerdings die Ansicht, dass ein Gutglaubensschutz unter bestimmten Bedingungen im Billigkeitswege gewährt werden muss.
Bei Unklarheiten oder bereits sehr konkreten Rechtsfragen in dieser Hinsicht empfiehlt es sich, umgehend einen Rechtsanwalt für Steuerrecht einzuschalten. Aus anwaltlicher Sicht bezieht sich das aktuelle Urteil auf einen klaren Straftatbestand respektive die vorsätzliche Steuerhinterziehung durch einen in Deutschland ansässigen Lieferanten - eine strafbezogene Aufhebung der Umsatzsteuerbefreiung lässt sich anhand des Urteils somit nur dann rechtfertigen, wenn die Finanzbehörden die Mitwirkung des deutschen Partners nicht nur behaupten, sondern auch beweisen können. Auch im Steuerrecht ist der Grundsatz „im Zweifel für den Angeklagten“ (= in dubio pro reo) zu berücksichtigen. Die juristische Vertretung durch einen Fachanwalt für Steuerrecht wird bei korrekten steuerlichen Angaben des deutschen Partners die Situation normalerweise rechtsverbindlich klären können.
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