Vielen Unternehmern kann eine Entscheidung des Finanzgerichts Münster helfen. Das Gericht stellte fest, dass die Kassen- und Buchführung durch die Betriebsprüfung nicht allein unter Hinweis auf geringfügige formelle Fehler verworfen werden darf. Die Betiebsprüfung muss sich mit dem sachlichen Gewicht der Mängel auseinandersetzen.
Es sollten im Einzelfall sämtliche beanstandeten formellen Mängel auf ihr sachliches Gewicht hin überprüft werden. Dieses Vorgehen ist eine hilfreiche Methodik zur Anfechtung von unberechtigten Schätzungsbescheiden und kann auch schon in einer Schlussbesprechung in der Betriebsprüfung helfen, um überhöhte Schätzungen abzuwehren.
Erst ein hinreichendes inhaltliches Gewicht formeller Mängel (oder eine gleichwertige erhebliche Anzahl formeller Mängel) kann im Einzelfall zur Schätzung dem Grunde nach berechtigen. Geringfügige Mängel in der Kassenführung rechtfertigen keine über die konkreten Auswirkungen dieser Mängel hinausgehenden Hinzuschätzungen.
Das Gericht führte aus: Die vom Betriebsprüfer festgestellten Kassenführungsmängel führten nicht dazu, dass die Aufzeichnungen der Klägerin insgesamt verworfen werden könnten. Dies ergebe sich zum einen aus der geringen Häufigkeit der Mängel im Verhältnis zu den gesamten Geschäftsvorfällen, die das Finanzamt selbst mit 25.000 bis 30.000 pro Jahr geschätzt habe, und zum anderen aus der geringen Gewinnauswirkung von weniger als EUR 100. Auch die aufgrund dieser Mängel möglicherweise nicht gegebene Kassensturzfähigkeit beschränke sich lediglich auf einzelne kurze Zeiträume. Im Ergebnis beschränkte das FG hier aus Bagatellgründen die Hinzuschätzung betragsmäßig auf die festgestellten Mängel. Nutzbringend für sonstige Einspruchsverfahren ist auch der Hinweis des Gerichts, dass sich die Betriebsprüfung für eine Ausbeutekalkulation auf Daten stützen muss, die typische Portionsgrößen belegen. Weiterhin muss die Nachkalkulation vollständig sein und darf nicht typisieren. Dann wäre sie nicht mehr betriebsbezogen.
Selbst wenn eine Schätzung dem Grunde nach berechtigt ist, stellt sich dann die weitere Frage der zutreffenden Schätzungshöhe. Über diese lässt sich oft diskutieren, da sie betriebsbezogen erfolgen muss. Das Urteil kann darüber hinaus auch bei der Anfechtung von Sicherheitszuschlägen genutzt werden. Wenn z.B. die formellen Fehler nur einen zeitlich abgrenzbaren Zeitraum betreffen oder sachlich begrenzbar sind, dann ist ein Sicherheitszuschlag jedenfalls nicht für den gesamten Prüfungszeitraum gerechtfertigt (Beispiel: es tritt nur wenige Wochen durch eine Aushilfe ein bestimmter Kassenfehler auf). Auch in Steuerstrafverfahren kann argumentiert werden, dass formelle Fehler auf ihre inhaltliche Auswirkung hin „abgeklopft“ werden müssen.
Praxishinweis
Es kommt in einer Betriebsprüfung auch auf den richtigen Zeitpunkt des Vorbringens von Gegenargumenten ankommt, damit diese nicht „verpuffen“. Der Steuerberater kann taktisch abwägen, in welchem Verfahrensstadium (vor oder in der Schlussbesprechung oder erst im Einspruchsverfahren) bestimmte Angriffspunkte gegen die Schätzung vorgetragen werden sollten. Dem Finanzamt dann durch ein neues Argument im Einspruchsverfahren die Gewährung der Aussetzung der Vollziehung leichter fallen.
Wir stellen bei der Prüfung von Zwischen- und Schlussberichten der Betriebsprüfung nicht selten fest, dass das materielle Gewicht von geltend gemachten formellen Fehlern nicht oder nicht hinreichend beachtet wird. Es stellt sich im Einzelfall die Frage, zu welchem Zeitpunkt dieser Mangel gerügt wird und ob möglichst frühzeitig das Gespräch mit der Betriebsprüfung gesucht werden sollte.
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