Urteil des Finanzgerichts Münster: Bei der Bewertung eines Miteigentumsanteils an einem Grundstück für Erbschaftsteuerzwecke ist vom anteiligen Verkehrswert des Grundstücks ein Marktanpassungsabschlag vorzunehmen, der die niedrigere Verkehrsfähigkeit eines Miteigentumsanteils abbildet.
Der Kläger stritt mit dem Finanzamt -FA - über die Bewertung eines geerbten Miteigentumsanteils von 50% an einem bebauten Grundstück (Zweifamilienhaus, Baujahr ca. 1928 nebst Anbau und Garagen). Auf Anforderung gab der Kläger im November 2019 die Steuererklärung für die gesonderte Feststellung des Grundbesitzwertes für Zwecke der Erbschaftsteuer ab. Am 17.03.2020 erließ das FA einen Bescheid über die gesonderte Feststellung des Grundbesitzwerts. Darin stellte das FA den Wert der wirtschaftlichen Einheit (Grundbesitzwert) im Sachwertverfahren auf 270.083 EUR und den übertragenen Anteil am Grundbesitzwert (50%) auf 135.041 EUR fest.
Hiergegen erhob der Kläger Einspruch und brachte ein Wertgutachten des Gutachterausschusses für Grundstückswerte im Kreis M auf den Stichtag bei. Den Verkehrswert des Volleigentums ermittelte der Gutachterausschuss mit 150.000 EUR. Den Verkehrswert des hälftigen Miteigentumsanteils am streitgegenständlichen Grundstück bezifferte der Gutachterausschuss mit 60.000 EUR. Hierzu führte der Gutachter aus, vom rechnerischen Anteil am Verkehrswert (75.000 EUR) müsse im Wege der Marktanpassung ein Abschlag von rund 20% (15.000 EUR) vorgenommen werden, weil der Erwerb eines Miteigentumsanteils als solcher gegenüber einem Erwerb des Volleigentums eine Wertminderung erfahre, weil ein solcher Erwerb für Dritte mit erheblichen Risiken verbunden sei (eingeschränkte Verfügungsgewalt etc.).
Das FA half dem Einspruch teilweise ab und änderte die Wertfeststellung dahingehend, dass der Grundbesitzwert von 150.000 EUR auf 75.000 EUR festgestellt wurde. Einen Abzug von 20% vom Verkehrswert der wirtschaftlichen Einheit wollte das FA jedoch nicht vornehmen. Das folge aus § 3 S. 1 BewG, wonach die Ermittlung des gemeinen Wertes eines Wirtschaftsgutes, das mehreren Personen zustehe, im Ergebnis so erfolgen solle, als ob es nur einer Person zugerechnet werden müsste. Bei der Bewertung werde nicht berücksichtigt, dass Bruchteile an einem Grundstück im Allgemeinen schwerer verkäuflich seien als ein Grundstück im Ganzen.
Gegen diese Entscheidung legte der Kläger vor dem FG Münster erfolgreich Klage ein (Urteil FG Münster v. 24.11.2022 - Az.: 3 K 1201/21 F).
Nach Ansicht des FG Münster hat der Kläger gem. § 198 S. 1 BewG nachgewiesen, dass der gemeine Wert der wirtschaftlichen Einheit am Stichtag 60.000 EUR beträgt. Denn § 198 BewG stelle es dem Steuerpflichtigen offen, den Nachweis eines niedrigeren Verkehrswerts der zu bewertenden wirtschaftlichen Einheit durch ein Gutachten zu erbringen. Dieser Nachweis beschränke sich nicht auf einen niedrigeren gemeinen Wert des Volleigentums, sondern könne darüber hinaus dahingehend geführt werden, dass der Wert des Miteigentumsanteils niedriger ist als der entsprechende rechnerische Bruchteil des Werts des Volleigentums.
Das Gericht begründete seine Ansicht zunächst mit dem Wortlaut des § 198 BewG. Dieser stellt auf den gemeinen Wert der wirtschaftlichen Einheit als solchen ab. Unter der im Streitfall erfüllten Prämisse, dass der Miteigentumsanteil am Grundstück selbst die zu bewertende wirtschaftliche Einheit ist, eröffne der Wortlaut der Norm die Möglichkeit, unmittelbar für diesen Miteigentumsanteil einen niedrigeren gemeinen Wert nachzuweisen.
Sodann setzte sich das Gericht mit dem Sinn und Zweck des § 198 BewG auseinander. Nach der Gesetzesbegründung zu § 198 BewG solle der Steuerpflichtige durch diese Norm die Möglichkeit erhalten, sämtliche wertbeeinflussenden Umstände bei der Ermittlung des gemeinen Werts geltend zu machen. Hierzu gehörten nach der Vorstellung des Gesetzgebers auch die den Wert beeinflussenden Belastungen privatrechtlicher und öffentlich-rechtlicher Art, wie z. B. Grunddienstbarkeiten und persönliche Nutzungsrechte. Nach Ansicht des FG Münster muss dies erst recht für einen rechtlichen Umstand gelten, der der wirtschaftlichen Einheit prägend innewohnt und sie nicht lediglich als von außen kommend belastet, nämlich, dass es sich nicht um Voll- sondern um Miteigentum handelt.
Nach Auffassung des FG Münster steht § 3 BewG der grundsätzlichen Möglichkeit des Steuerpflichtigen, einen niedrigeren gemeinen Wert des Miteigentumsanteils nachzuweisen, nicht entgegenstehen. Denn § 3 BewG sei eine allgemeine Bewertungsvorschrift, die dann nicht gelte, wenn es besondere Bewertungsvorschriften gibt - wie hier § 198 BewG. § 198 BewG eröffne dem Steuerpflichtigen aus verfassungsrechtlichen Gründen die Möglichkeit, von den im BewG vorgesehenen typisierenden Wertermittlungsverfahren abzuweichen; sie sei auch aus diesem Grund eine vorrangige Spezialvorschrift.
Das FG Münster sieht seine Entscheidung auch nicht im Widerspruch zu der früheren Rechtsprechung des BFH (BFH-Beschluss vom 22.07.2005, Az.: II B 58/05). Seinerzeit hatte der BFH keinen Nachweis dahingehend zugelassen, dass ein Miteigentumsanteil an einem Grundstück weniger wert sei als es dem rechnerischen Anteil am gemeinen Wert des gesamten Grundstücks entspreche. Das FG Münster hält inzwischen eine andere Beurteilung für geboten. Denn die Rechtsprechung des BFH stammt aus einer Zeit, in der es die Spezialvorschrift des § 198 BewG noch nicht gab und der BFH mit dem § 146 Abs. 7 BewG a.F. argumentierte. Im Unterschied zum § 198 BewG enthielt § 146 BewG a.F. den Terminus „Wert des Grundstücks“, weshalb der BFH den Schluss gezogen hatte, eine kleinere Einheit in Gestalt des Miteigentumsanteils als ein gesamtes Grundstück akzeptiere das Gesetz nicht. Der Wortlaut des nun anzuwendenden § 198 BewG stellt dagegen auf die „wirtschaftliche Einheit“ ab.
Zuletzt führte das FG Münster aus, dass das Wertgutachten ordnungsgemäß erstellt wurde. Auch die Höhe des vorgenommenen Abschlags von 20% sei vom Gutachterausschuss hinreichend konkret begründet worden. Das FG Münster hat die Revision zum BFH zur Fortbildung des Rechts zugelassen.
Die Finanzverwaltung hat gegen das Urteil Revision beim BFH eingelegt (Az. II R 57/22). Es bleibt abzuwarten und spannend, ob der BFH die vom FG Münster vorgenommene Auslegung von § 198 BewG teilt.
Aufgrund der aktuellen Problematik im Zusammenhang mit der Neubewertung von Grundstücken kann diese Entscheidung den Betroffenen Abhilfe schaffen. Aber Achtung: wer auf der Basis der Argumentation des FG Münster einen Bewertungsabschlag für Miteigentumsanteile vornehmen möchte, kann dies allein nur durch ein Wertgutachten nach § 198 BewG tun, andernfalls ist ein Bewertungsabschlag nach § 3 S. 1 BewG verwehrt. Daher empfehlen wir den Betroffenen, in geeigneten Fällen ein Wertgutachten anfertigen zu lassen und sodann gegen die Feststellungsbescheide zur Grundbesitzbewertung Einspruch einzulegen. Gern unterstützen wir Sie dabei.
LHP Rechtsanwälte und Steuerberater bietet Rechts- und Steuerberatung im Bereich der Grundstücksbewertung und Steueroptimierung an. Sollten Sie Unterstützung auf dem Gebiet des Erbschafts- und Schenkungssteuerrechts benötigen, beraten wir Sie hierzu gerne.
Finanzgericht Münster, Urteil 24. November 2022 (3 K 1201/21 F).
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