Der automatisierte Kontenabruf (Kontenabrufverfahren) bezeichnet den Zugriff staatlicher Stellen (insbesondere des Finanzamtes) auf die Kontostammdaten inländischer Konten und Depots. Seine hauptsächliche Aufgabe ist es, die Finanzämter in die Lage zu versetzen, ihrem aus dem Gleichheitsgrundsatz des Artikel 3 Grundgesetz (GG) folgenden und in § 85 Abgabenordnung (AO) normierten Auftrag nach gleichmäßiger Erhebung und Festsetzung von Steuern zielgerichtet und mit angemessenem Aufwand nachkommen zu können.
Seit der Einführung der Kontenabrufbefugnis im Jahr 2005 haben die Finanzämter von dieser Möglichkeit in rasant wachsendem Umfang Gebrauch gemacht. Betrug der Umfang der Kontenabfragen im Jahr 2005 lediglich 9000 Stück, fragten die Finanzämter im Jahr 2011 insgesamt ca. 63.000 Kontendaten ab. Die Kontenabrufe haben sich also in sechs Jahren versiebenfacht.
§ 24c Abs. 1 des Gesetzes über das Kreditwesen (KWG) verpflichtet die Kreditinstitute für jedes inländische Konto eine Datei mit Stammdaten anzulegen. Folgende Daten sind nach § 24c Abs. 1 KWG für die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) und nach § 93b Abs. 1 für das Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) von jeder Bank zum Kontenabruf durch die Finanzämter bereitzuhalten:
Bei jeder Änderung der bezeichneten Daten, z.B. im Falle einer Kontoumschreibung auf einen oder mehrere Erben, ist unverzüglich ein neuer Datensatz anzulegen. Die alten Daten sind drei Jahre nach Änderung und alle Daten sind drei Jahre nach Auflösung des Kontos /Depots zu löschen.
Kontenstände und Kontenbewegungen sind nicht Teil der Stammdaten. Sie können jedoch durch die Finanzämter oder die Steuerfahndung im Zusammenhang mit einem automatisierten Kontenabruf grundsätzlich durch ein Auskunftsersuchen nach § 92 Satz 2 Nr. 1 AO und § 93 Abs. 1 AO bei der betreffenden Bank abgefragt werden.
Der automatisierte Kontenabruf von Stammdaten inländischer Konten oder Depots darf grundsätzlich erfolgen:
Nach § 93 Abs. 2 AO liegt die Verantwortung für die Prüfung der Zulässigkeit des Kontenabrufs bei der ersuchenden Behörde (z.B. dem Finanzamt). Dies ist bemerkenswert, da der Schluss naheliegt, dass das Finanzamt im Zweifel zu dem Ergebnis kommen wird, dass ihr Kontenabruf zulässig sei. Eine Prüfung der Zulässigkeit oder des Missbrauchs eines Kontenabruf durch unabhängige Dritte findet grundsätzlich nicht statt. Aufgrund dieser sehr weitreichenden Befugnisse der Finanzämter wird das Kontenabrufverfahren zu Recht von Datenschützern kritisiert. In diesem Zusammenhang bewertete das Bundesverfassungsgericht § 93 Abs. 8 AO im Jahr 2007 - nur zwei Jahre nach in Kraft treten - als verfassungswidrig und forderte den Gesetzgeber zu einer Änderung auf. Diese erfolgte durch die Unternehmenssteuerreform im Jahre 2008 (weitere Erläuterungen dazu finden Sie im nächsten Abschnitt).
§ 93 Abs. 7 AO und § 93 Abs. 8 AO wurden im Rahmen des "Gesetzes zu Förderung der Steuerehrlichkeit" vom 23.12.2003 eingeführt und traten am 01.04.2005 in Kraft. § 24c Abs. 2 KWG und § 24c Abs.3 KWG traten am 01.04.2003 in Kraft. Nach Verfassungsklagen stellte das Bundesverfassungsgericht am 13.06.2007 für § 93 Abs. 7 AO und § 24c Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 KWG Verfassungskonformität fest. § 93 Abs. 8 AO hingegen bestimmte nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts den Kreis der zum Kontenabrufersuchen berechtigten Behörden sowie die Aufgaben eines solchen Kontenabrufersuchens in der ersten Fassung nicht hinreichend. Im Rahmen der Unternehmenssteuerreform 2008 vom 14.08.2007 nahm der Gesetzgeber die notwendigen Änderungen des § 93 Abs. 8 AO vor. § 93 Abs. 7 AO in der Neufassung vom 14.08.2007 schränkt mit Inkrafttreten am 01.01.2009 den Kontenabruf der Finanzämter und anderen Behörden auf steuerlichen Gründen bei Kapitalerträgen ein.
Ein Finanzamt darf das Bundeszentralamt für Steuern nur dann um die Weiterleitung von Stammdaten ersuchen, wenn der Kontenabruf
Anhand dieser Voraussetzungen zeigt sich also, dass eine Verweigerungshaltung des Steuerpflichtigen im Rahmen von Auskunftsersuchen durch die Finanzämter in der Regel nicht weiter hilft. In unserer täglichen Praxis erleben wir jedoch häufig, dass die Finanzämter diese Auskunftsersuchen auch auf steuerlich bereits verjährte Zeiträume ausdehnen. In diesen Fällen konnten wir für unsere Mandanten erreichen, dass die vom Finanzamt angeforderten Informationen nicht preisgegeben werden mussten.
Weiterhin ist ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass für den Kontenabruf durch das Finanzamt kein Verdacht einer Steuerstraftat (Steuerhinterziehung oder leichtfertige Steuerverkürzung) vorliegen muss. Erforderlich, aber auch ausreichend, sind allein die o.g. Voraussetzungen. Hier erleben wir, dass häufig bestimmte Personen- und Berufsgruppen (z.B. Ärzte, Architekten, Steuerberater, Rechtsanwälte und andere Freiberufler aber auch Einzelgewerbetreibende) mit überdurchschnittlichem Einkommen in den Fokus der Finanzämter geraten und von Kontenabrufen betroffen sind.
Das Ersuchen um einen Kontenabruf liegt im Ermessen des Finanzamts. Es darf sich jedoch nur auf einzelne Daten einer eindeutig bestimmten Person beziehen. Rasterfahndungen und vergleichbare Maßnahmen sind unzulässig. D.h. auch bei den o.g. Personengruppen liegt jedem Kontenabruf eine Einzelanfrage des Finanzamts zu Grunde. Darüber hinaus muss der Kontenabruf anlassbezogen und zielgerichtet erfolgen.
Wie beschrieben muss das Finanzamt dem Steuerpflichtigen gemäß § 93 Abs. 9 Satz 1 AO vor dem Kontenabruf regelmäßig die Möglichkeit geben, die begehrten Auskünfte über (bisher unbekannte) Konten und Depots „freiwillig“ zu erteilen und gegebenenfalls zugehörige Unterlagen vorzulegen. In dem Auskunftsersuchen ist der Steuerpflichtige ferner auf die Möglichkeit eines Kontenabrufs aufmerksam zu machen. Hierfür ist ein Hinweis auf amtlichen Vordrucken und Merkblättern ausreichend. Der Steuerpflichtige ist also bei einer solchen Anfrage durch das Finanzamt regelmäßig gewarnt. Ihm wird durch das Auskunftsersuchen mehr oder weniger direkt mitgeteilt, dass er nunmehr zumindest hinsichtlich seiner Konten in den Fokus des Finanzamts gerückt ist.
Die „Pflicht zur Voranfrage“ der Finanzämter entfällt gemäß § 93 Abs. 9 Satz 3 AO dann, wenn
Für die Einkünfte aus Kapitalvermögen gilt seit dem 01.01.2009 die sog. Abgeltungsteuer. D.h., grundsätzlich werden Einkünfte aus Kapitalvermögen ab dem 01.01.2009 mit 25% (zzgl. Solidaritätszuschlag und ggfs. Kirchensteuer) versteuert. Liegt der individuelle Steuersatz im Einzelfall darunter, ist im Rahmen der Erstellung der Jahressteuererklärung die Regelversteuerung dieser Einkünfte mit dem persönlichen Steuersatz zu beantragen (sog. Günstigerprüfung). Vor diesem Hintergrund schränkt die Neufassung des § 93 Abs. 7 AO den automatisierten Kontenabruf ab 01.01.2009 auf folgende Zwecke ein:
Das Finanzamt ist verpflichtet, ein Kontenabrufersuchen sowie das Ergebnis des Kontenabrufs zu dokumentieren (§ 93 Abs. 10 AO). Nach erfolgtem Kontenabruf ist der Betroffene außerdem vom Finanzamt über die Durchführung zu benachrichtigen (§ 93 Abs. 9 Satz 2 AO). Diese Benachrichtigungspflicht der Finanzämter gilt jedoch dann nicht, wenn einer der beschriebenen Ausnahmefälle vorliegt, nämlich:
Dies gilt unabhängig davon, ob es sich um einen „Altfall“ (bis 2007) oder einen unter die aktuelle Rechtslage fallenden Sachverhalt (ab 2008) handelt.
Ein Kontenabruf nach § 93 Abs. 8 AO auf Anfrage der Sozialbehörden (Arbeitsämter/Jobcenter) erfolgt durch das Bundeszentralamt für Steuern in Fällen
Eine Anfrage zum Zwecke des Kontenabrufs ist hier nur zulässig, soweit es
Die Dokumentationspflicht ( siehe oben) gilt auch für den Kontenabruf auf Ersuchen der Sozialbehörden (§ 93 Abs. 8 AO).
Der Kontenabruf stellt einen sog. Realakt dar. Als solcher ist er nicht selbstständig anfechtbar. Zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Kontenabrufs bleibt den Betroffenen entweder die rückwirkende Überprüfung des auf den Kontenabruf zurückzuführenden Steuerbescheides (bzw. des Leistungsbescheides der Sozialbehörden) oder die Feststellungsklage mit dem Ziel der Feststellung der Rechtswidrigkeit des Kontenabrufs. Die Unrechtmäßigkeit eines Kontenabrufs führt allerdings nicht regelmäßig zu einem Beweisverwertungsverbot und ein solches wird durch später rechtmäßig erlangte Informationen (Betriebsprüfung der Finanzämter oder andere Auskunftsersuchen) meist wirkungslos.
Die Finanzämter können die erforderlichen Informationen über die Konten eines Steuerpflichtigen auch auf Grundlage eines allgemeinen Auskunftsersuchen, gerichtet an den Steuerpflichtigen selbst, erfragen, soweit sie diese für die Steuerfestsetzung benötigen. Diese allgemeine Befugnis der Finanzämter folgt aus § 92 Satz 2 Nr. 1 AO in Verbindung mit § 93 Abs. 1 AO. In einem solchen Auskunftsersuchen ist dem Steuerpflichtigen mitzuteilen, worüber Auskünfte ersucht werden und ob diese Auskünfte für seine eigene Besteuerung oder für die Besteuerung einer anderen Person angefordert werden. Die vom Finanzamt gesetzten Auskunftsfristen müssen dabei angemessen sein (in der Regel 1 Monat, in Einzelfällen aber auch kürzer). Diesbezüglich besteht aber die Möglichkeit, die Auskunftsfristen durch einen Fristverlängerungsantrag zu erweitern. Die vom Steuerpflichtigen daraufhin mitgeteilten Informationen stellen neben einer automatisierten Kontenabfrage das wichtigste Beweismittel für die Finanzämter dar.
Die aktuelle Diskussion um das Steuerabkommen mit der Schweiz zeigt sehr deutlich, mit welcher Intensität und welchem Nachdruck die deutschen Steuerbehörden versuchen, auch international an die von ihnen so begehrten Kontodaten zu gelangen. Hierzu ist zunächst grundsätzlich darauf hinzuweisen, dass die deutschen Finanzämter außerhalb des Bundesgebiets keine originäre Hoheitsgewalt ausüben können. D.h. eine Kontodatenabfrage eines deutschen Finanzamts an eine ausländische Bank wird - vorbehaltlich zwischenstaatlicher Abkommen - nicht von dieser beantwortet werden. Innerhalb der EU-Mitgliedstaaten gelten jedoch Besonderheiten. Hier normiert die sog. EU-Zinsrichtlinie umfangreiche Informationsrechte für die deutschen Finanzämter. Diese gehen weit über die nationalen Rechte zum Kontenabruf hinaus, denn es werden nicht nur die Kontostammdaten, sondern auch die genaue Höhe der Einkünfte aus Kapitalvermögen respektive Einkünfte aus Veräußerungsgewinnen gemeldet.
Außerhalb der EU regeln zwischenstaatlichen Abkommen den Datenaustausch. Mit den meisten Industrienationen bestehen solche Abkommen. Die aktuelle Entwicklung in der Schweiz, Liechtenstein und auch Singapur zeigt, dass sich selbst ehemalige Verfechter des Bankgeheimnisses dem internationalen Druck der großen Industrienationen beugen wollen.
Grundsätzlich ist der Kontenabruf des Finanzamtes im Besteuerungsverfahren auch bei sog. Berufsgeheimnisträgern nach § 102 AO (Rechtsanwalt, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer) zulässig. Bei der Ermessensentscheidung muss nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz allerdings zwischen der Bedeutung der Verschwiegenheitspflicht des Berufsgeheimnisträgers auf der einen Seite und der Gleichmäßigkeit der Besteuerung auf der anderen Seite abgewogen werden. Ferner dürfen über sog. Anderkonten der Berufsgeheimnisträger, die durch einen Kontenabruf feststellt werden, keine Kontrollmitteilungen gefertigt werden.
Steuerpflichtigen bereiten Auskunftsersuchen durch das Finanzamt gleich welcher Form nur dann kein Unbehagen, wenn gegenüber dem Finanzamt bisher stets vollständige und wahrheitsgemäße Angaben gemacht wurden. Ist dies nicht der Fall, befindet sich der Steuerpflichtige in einer Zwickmühle. Zum einen ist er im Besteuerungsverfahren zur Mitwirkung verpflichtet. Verweigert er die Mitwirkung, also beispielsweise die Beantwortung eines Auskunftsersuchens bzgl. bestehender Konten, macht er sich verdächtig. Dies weckt natürlich erst recht die Neugier des Finanzamts und es wird weitere Ermittlungen anstellen, z.B. einen automatischen Kontoabruf. Teilt er dagegen dem Finanzamt ein bisher verschwiegenes Konto mit, bezichtigt er sich wahrscheinlich einer Steuerhinterziehung. Dazu ist er aufgrund des im Strafrecht geltenden Verbots der Selbstbelastung (nemo tenetur Grundsatz) jedenfalls nicht verpflichtet. Eine Verweigerung der Auskunft dürfte aber aufgrund der geweckten Neugier des Finanzamts keinen Ausweg aus der Zwickmühle bieten. Zwar stellt das Auskunftsersuchen einen Verwaltungsakt dar, der eigenständig mit dem Rechtsmittel des Einspruchs anfechtbar ist. Ein Einspruch gegen das Auskunftsersuchen wird aber zu keinem anderen Ergebnis führen als eine Verweigerung der Auskunft. Die Neugier des Finanzamts ist geweckt. Aufgrund dieser Zwangslage ist den Betroffenen in den meisten Fällen - nach eingehender Prüfung durch einen Steueranwalt - eine sog. Selbstanzeige zu empfehlen. Eine solche - ihre Wirksamkeit vorausgesetzt - hat für den Betroffenen strafbefreiende Wirkung. Dies setzt jedoch die Fähigkeit des Steuerpflichtigen voraus, die bisher nicht entrichteten Steuern nachzuzahlen. Den Betroffenen kann nur eindringlich davon abgeraten werden, eine solche Selbstanzeige aufgrund der hohen Wirksamkeitshindernisse „auf eigene Faust“ abzugeben. Es gibt hier nämlich keine 2. Chance, d.h. der erste Versuch der Selbstanzeige muss vollumfänglich wirksam sein, ansonsten ist dieses Mittel verwirkt. Aus diesem Grund sollte die Selbstanzeige nur nach eingehender Beratung durch einen Experten, bestenfalls eines Rechtsanwalts mit steuerlicher Spezialausbildung (Steuerberater/Fachanwalt für Steuerrecht) abgegeben werden.
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