Der Tatbestand der Steuerhinterziehung i.S.d. § 370 Abs. 1 AO ist erfüllt, wenn gegenüber den Finanzbehörden pflichtwidrig unrichtige oder unvollständige Angaben gemacht werden, Tatsachen verschwiegen werden oder die Verwendung von Steuerzeichen oder Steuerstemplern unterlassen wird.
Bei der Berechnung der Strafverfolgungsverjährung ist zwischen Fristdauer, Fristbeginn und Unterbrechung (Neubeginn) zu unterscheiden.
Dauer der Strafverfolgungsverjährung:
Die strafrechtliche Verjährungsfrist für den Grundfall einer Steuerhinterziehung beträgt fünf Jahre (§ 78 Abs. 3 Nr. 4 Strafgesetzbuch).
Strafverfolgungsverjährung in besonders schweren Fällen der Steuerhinterziehung (§ 370 Abs. 2, 376 AO):
Der Gesetzgeber hat Ende 2008 eine verschärfte Regelung für die Strafverfolgungsverjährung in § 376 AO eingeführt und diese zum Stichtag 1.7.2020 nochmals verschärft. Denn liegt ein sogenannter besonders schwerer Fall einer Steuerhinterziehung vor, so verlängert sich die Dauer der Strafverfolgungsverjährung von 5 auf nun sogar 15 Jahre. Ein besonders schwerer Fall der Steuerhinterziehung liegt z.B. dann vor, wenn die Steuerhinterziehung ein erhebliches Ausmaß erreicht oder ein Amtsträger seine Befugnis oder Stellung zum Zweck der Steuerhinterziehung missbraucht. Als Richtwert für die Erheblichkeitsgrenze wird nach der neuen Rechtsprechung des BGH (1 StR 373/15) einheitlich ein Steuerbetrag von 50.000 € angenommen. Der BGH unterscheidet seither nicht mehr nach der Art des manipulativen Verhaltens, sondern knüpft einzig an der Höhe der verkürzten Steuer an.
Wichtig ist insofern, dass es für vorgenannte Werte auf die Steuer pro Besteuerungszeitraum (in der Regel das Kalenderjahr), nicht jedoch auf die Einnahmen (Umsätze) ankommt.
Praxishinweis: Die Strafverfolgungsfrist kann im Einzelfall verlängert werden,, indem beispielsweise vor Ablauf der strafrechtlichen Verjährungsfrist ein Durchsuchungsbeschluss richterlich angeordnet wird (vgl. zur Unterbrechung der Verjährung unten). Hier setzt nur die absolute Verjährung eine Grenze. Diese kann im Einzelfall nach aktueller Rechtslage bis zu 42,5 Jahren betragen. Zu den gesetzgeberischen Neuregelungen in 2020 siehe unten.
Beginn der Strafverfolgungsverjährung
Die Frist für die Strafverfolgungsverjährung beginnt mit der Beendigung der Steuerhinterziehung im strafrechtlichen Sinn. Hierbei ist für die Beurteilung der Beendigung eine sehr differenzierte Betrachtung notwendig, wobei auf die jeweilige Steuerart abzustellen ist.
Bei der Hinterziehung der Einkommensteuer ist die Hinterziehung vollendet und beendet, sobald der Einkommensteuerbescheid vorliegt. Beispiel: Wer also den Steuerbescheid für 2011 am 1. Oktober 2012 erhalten hat, kann nach Ablauf von fünf Jahren ab diesem Zeitpunkt (also am 1. Oktober 2017) nicht mehr strafrechtlich verfolgt werden.
Bei der Erbschaftsteuer ist der Fristbeginn im Einzelnen umstritten. In der Praxis wird häufig auf den Zeitpunkt der Anzeigepflicht des Erben abgestellt. Dies bedeutet einen Zeitpunkt drei Monate nach dem Zeitpunkt des Erwerbs. Beispiel: Einen Erbfall aufgrund eines Todes des Erblassers am 01.10.2012 muss der Erbe spätestens am 31.12.2012 gegenüber dem Erbschaftsteuerfinanzamt anzeigen. Ab dann beginnt die Verfolgungsverjährung (nach anderer Ansicht erst 3 weitere Monate später).
Auch im Rahmen der Schenkungsteuer ist der Fristbeginn umstritten. Nach einer unseres Erachtens vertretbaren Rechtsansicht beginnt hier der Lauf der strafrechtlichen Verjährungsfrist drei Monate ab dem Schenkungstatbestand, also beispielsweise drei Monate nach Zahlung des Geldgeschenks des Großvaters an den Enkel.
Erneuter Fristbeginn (sogenannte Unterbrechung gemäß § 78c StGB)
Wenn bestimmte strafprozessuale Maßnahmen erfolgt sind, beginnt die oben genannte Frist erneut. Das Gesetz sieht eine Reihe von derartigen Unterbrechungstatbeständen vor, die zu einem erneuten Fristbeginn führen:
- die Bekanntgabe der Einleitung eines Strafverfahrens oder die Anordnung der Bekanntgabe der Einleitung eines Strafverfahrens;
- die erste Vernehmung als Beschuldigter;
- die richterliche Anordnung eines Durchsuchungsbeschlusses.
Überblick über die Neuregelung der strafrechtlichen Verjährung seit 2020
- In der Neufassung des § 376 Abs. 1 AO wurde die strafrechtliche Verjährung für die Fälle der besonders schweren Steuerhinterziehung von 10 Jahren auf 15 Jahre erhöht (z.B. bei einem besonders großen Ausmaß pro Tat in Höhe von mehr als EUR 50.000). Im Ergebnis wurden den Ermittlungsbehörden somit in Fällen schwerer Steuerhinterziehung mindestens weitere 5 Jahre Zeit für Ermittlungen gegeben. Weiterhin wurde die Grenze der absoluten strafrechtlichen Verjährung auf das 2,5-fache der Verjährung erhöht (§ 376 Abs. 3 AO). Die strafrechtliche Verjährung kann daher schon aufgrund dieser Regelungen im Einzelfall bis zu 37,5 Jahren betragen. Hinzukommt im Einzelfall noch ein Ruhen der Verjährung von 5 Jahren (42,5 Jahre). Diese Konsequenz der Neuregelungen sollte gesehen werden, denn ein Verbrechen wie Totschlag verjährt nach 40 Jahren. Der Gesetzgeber hat somit die Verhältnismäßigkeit offensichtlich aus den Augen verloren!
Die Neuregelung zum 1.7.2020 im Einzelnen
- In § 376 Abs. 1 AO wurde die strafrechtliche Verjährung durch das Jahressteuergesetz 2020 mit Wirkung zum 29.12.2020 für die Fälle der besonders schweren Steuerhinterziehung von 10 Jahren auf 15 Jahre erhöht. Außerdem stellt der Gesetzgeber nun klar, dass bei der Steuerhinterziehung in besonders schweren Fällen die strafrechtliche Verjährung gem. § 78b Abs. 4 StGB bis maximal 5 Jahre ruht, wenn das strafrechtliche Hauptverfahren vor dem Landgericht eröffnet worden ist. Weiterhin wurde durch das Zweite Corona-Steuerhilfegesetz vom 29.6.2020 die absolute (maximale) Verjährung mit Wirkung zum 1.7.2020 vom Doppelten auf das Zweieinhalbfache der normalen Verjährung ausgedehnt (§ 376 Abs. 3 S. 1 AO). Im Ergebnis kann es nun durch das Zusammenspiel dieser Regelungen im Einzelfall dazu kommen, dass eine Hinterziehung von mehr als 50.000 € pro Tat erst in 42,5 statt bisher 20 bzw. 25 Jahren verjährt.
- Der Gesetzgeber hat trotz der erheblichen Bedeutung der Neuregelung keine Stichtagsregelung vorgesehen und zeigt hierdurch einmal mehr, dass ihm das Gespür für Rechtssicherheit und -klarheit abhandenkommt. Nach der Begründung des Finanzausschusses des Bundestages und der Landesregierung NRW sollen die Neuregelungen für alle zum Zeitpunkt ihres Inkrafttretens (1.7.2020 bzw. 29.12.2020) noch nicht verjährten Taten gelten.
Praxishinweishinweis: Bei der Abgabe von Selbstanzeigen sollte gesehen werden, dass sich hierdurch der notwendige Berichtigungsverbund ausweiten kann (Vollständigkeitsgebot gem. § 371 Abs. 1 AO). Ungeklärt ist, ob die steuerliche Festsetzungsverjährung eine äußerste Grenze für den Berichtigungsverbund bei der Selbstanzeige darstellt. Hierdurch könnte sich eine zeitlich günstige Einschränkung gegenüber der im Einzelfall deutlich längeren strafrechtlichen Verjährung ergeben. Diese zeitliche Beschränkung sollte vorsorglich jedoch nicht bei der Abfassung einer Selbstanzeige angewandt werden, wenn der Mandant die sicherste Lösung bevorzugt. Bisher hat kein Gericht festgestellt, dass eine Selbstanzeige allein für die steuerlich unverjährten Jahre gleichzeitig eine strafbefreiende Wirkung für strafrechtlich unverjährte frühere Jahre hat (Problem des zeitlichen Überhangs). In der Verteidigungssituation hingegen ist eine solche Argumentation mit der zeitlichen Begrenzung des Berichtigungsverbundes auf die steuerliche Festsetzungsverjährung hingegen hörenswert. Mangels gegenteiliger Rechtsprechung ist diese auch mit dem Normzweck der Selbstanzeige gut begründbare Ansicht ein guter Verteidigungsaspekt.
Stichtag für die Neuregelung
Es ist rechtsstaatlich bedenklich, dass die erheblichen Änderungen der Verjährung ohne eine ausdrückliche gesetzliche Stichtagsregelung eingeführt wurden. Eine solche Regelung hätte jedoch wegen des Rückwirkungsverbots nahegelegen. Daher greift der Hinweis der Gesetzesbegründung auf frühere Rechtsprechung, die keinen Vertrauensschutz verlangt, zu kurz. Nach der Begründung des Gesetzgebers sollen die Neuregelungen für alle zum Zeitpunkt ihres Inkrafttretens am 1.7.2020 bzw. 29.12.2020 noch nicht verjährten Taten gelten. Diese bloße Absichtserklärung dient nicht der Rechtssicherheit.